Der Sieger bleibt allein (German Edition)
einer der Minister sei anwesend und würde Hamid gern sprechen. Der überlegt, schließlich investiert Belgien ein Vermögen, um seine Modeschöpfer in der internationalen Szene bekannt zu machen – und so den mit dem Verlust ihrer Kolonien in Afrika verschwundenen Glanz wiederzuerlangen.
»Ja, wir kommen sehr gern.«
»Haben wir nicht gleich anschließend eine Verabredung mit Gibson?«, fällt Ewa ihm ins Wort.
Hamid versteht die Botschaft. Er sagt der Event-Assistentin, dass er diese Verabredung ganz vergessen habe, aber später Kontakt zum Minister aufnehmen werde.
Ein paar Fotografen haben Hamid und Ewa entdeckt und fangen an, Fotos von ihnen zu schießen. Im Augenblick sind sie die Einzigen, die die Presse interessieren. Später kommen ein paar ehemalige Topmodels dazu und posieren und lächeln um die Wette und geben einigen der schlechtgekleideten Leute im Publikum Autogramme, alles in der Hoffnung, dass ihr Gesicht wieder in die Blätter kommt. Die Fotografen lichten sie pro forma ab und wissen doch genau, dass keines dieser Fotos je veröffentlicht werden wird. Mode ist Gegenwart. An die Models von vor drei Jahren – mit Ausnahme derer, die es aufgrund von durch ihre Agenten sorgfältig inszenierten Skandalen schaffen, sich in den Schlagzeilen der Zeitungen zu halten, oder weil sie sich tatsächlich von den anderen abgehoben haben – erinnern sich nur die Zaungäste hinter den Metallabsperrungen am Eingang der Hotels und ältere Damen, die schnelle Veränderungen nicht so recht mitbekommen.
Den alten Models ist das natürlich bewusst (und als »alt« gilt jede über 25), und sie nehmen die Fron nicht etwa auf sich, weil sie auf den Catwalk zurückwollen, sondern weil sie davon träumen, so an eine Filmrolle oder an einen Job als Moderatorin in einem Privatsender zu kommen.
Wer außer Jasmine, die der einzige Grund war, weshalb er zur Modenschau gekommen ist, wird heute noch auf dem Laufsteg sein?
Ganz bestimmt keines der vier oder fünf aktuellen Topmodels, denn die machen nur, wozu sie Lust haben, nehmen ein Vermögen dafür und haben kein Interesse daran, in Cannes aufzutreten, um die Events mit ihrem Prestige aufzuwerten. Hamid nimmt an, dass er zwei oder drei Models der A-Klasse wie Jasmine sehen wird, die für diesen Nachmittag rund 1500 Euro bekommen. Dazu muss man Charisma und vor allem Zukunft in der Branche haben. Weitere zwei oder drei Klasse-B-Models mit perfekten Körpern, Profis, die auf dem Catwalk perfekt sind, aber nicht das Glück haben, als Special Guests zu den Partys der Luxuskonzerne eingeladen zu werden und auch nur zwischen 600 und 800 Euro kosten. Die restlichen Models gehören der C-Klasse an, junge Mädchen, die neu in der schnelllebigen Welt der Mode sind und als Anfängerinnen zwischen 200 und 300 Euro verdienen.
Hamid weiß, was vielen der C-Klasse-Mädchen durch den Kopf geht: Alle wollen siegen. Alle wollen zeigen, dass sie das Zeug zum Topmodel haben. Dass sie es eines Tages zur Weltspitze schaffen werden, und wenn sie dafür ein paar ältere Männer verführen müssen.
Ältere Männer sind aber nicht so dumm, wie die Models glauben; die meisten dieser Mädchen sind minderjährig, und auf Sex mit Minderjährigen steht in den meisten Ländern der Welt Gefängnis.
Die Realität sieht vollkommen anders aus als die Legenden, die sich darum ranken: Keine gelangt durch sexuelle Großzügigkeit an die Spitze. Dazu braucht es sehr viel mehr.
Charisma. Glück. Die richtige Agentin oder den richtigen Agenten. Den rechten Augenblick. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.
Was die im Trend liegenden Studios im Moment suchen, ist nicht, was diese Mädchen, die gerade in die Modewelt hineingekommen sind, denken. Hamid hat die neuesten Untersuchungen gelesen, denen zufolge das Publikum es satt hat, magersüchtige Frauen mit provozierendem Blick und undefinierbarem Alter vorgeführt zu bekommen, die anders als normale Frauen aussehen. Die Casting-Agenturen suchen zurzeit etwas, das offenbar äußerst schwer zu finden ist: das Mädchen von nebenan, das allen anderen Frauen, die es auf Plakaten oder Fotos in Modezeitschriften sehen, das Gefühl gibt, ›ich bin wie sie‹.
Aber dieses außergewöhnliche, ganz »normale« Mädchen findet man ebenso selten wie eine Nadel im Heuhaufen.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Mannequins für die Modeschöpfer nur wandelnde Kleiderbügel waren. Selbstverständlich ist es einfacher, jemand Dünnes anzuziehen – die Kleider fallen
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