Der Sieger bleibt allein (German Edition)
sich die Modelle zu kaufen, die auf dem Laufsteg gezeigt werden. Aber Dabeisein ist alles, und so sitzen sie denn in schäbigen Jeans, geschmacklosen T-Shirts und in ihren nachgemachten Edelsneakern da und geben sich cool, was sie eindeutig nicht sind. Einige tragen teuer aussehende Taschen und Gürtel, doch das macht alles noch schlimmer: als würde man einen Velázquez in einen Plastikrahmen stecken.
Und als dritten noch den Eingang für die vip s. Die Sicherheitskräfte dort kennen sich mit Berühmtheiten nicht aus, stehen einfach nur mit vor der Brust verschränkten Armen da und schauen bedrohlich drein, als wären sie die wahren Herren des Ortes. Eine junge Frau, die sich Gesichter und die dazugehörigen Namen merken kann, kommt freundlich lächelnd mit einer Liste in der Hand auf Hamid und Ewa zu.
»Herzlich willkommen, Monsieur et Madame Hussein. Schön, dass Sie kommen konnten.«
Sie dürfen als Erste hinein. Der Durchgang ist zwar derselbe, aber eine Abtrennung aus mit roten Samtkordeln verbundenen Metallpfosten zeigt eindeutig, wer die wirklich wichtigen Leute sind. Dieser Augenblick der Sonderbehandlung ist der glorreiche Augenblick, und auch bei dieser Modenschau, die nicht zum offiziellen Programm gehört – denn Cannes bleibt trotz allem in erster Linie ein Filmfestival –, geht alles streng nach Protokoll. Für diesen glorreichen Augenblick bei allen parallel zum Festival stattfindenden Events (Dinners, Lunchs, Cocktailpartys) verbringen Männer und Frauen Stunden vor dem Spiegel, fest davon überzeugt, dass künstliches Licht für die Haut weniger schädlich ist als die Sonne draußen, wo sie tonnenweise Schutzcremes auflegen. Obwohl es nur zwei Schritte zum Strand sind, ziehen sie die raffinierten Bräunungsapparate in den stets in Sichtweite von ihren Unterkünften entfernten Schönheitssalons vor. Bei einem Spaziergang auf der Croisette würden sie ein wunderschönes Panorama genießen können, aber wie viele Kalorien würden sie dabei verbrennen? Also benutzen sie lieber die Laufbänder der hoteleigenen Fitnesscenter.
So werden sie fit sein für die Lunchs, zu denen sie durchgestylt casual angezogen gehen und bei denen sie gratis essen und sich wichtig fühlen, weil sie eingeladen wurden; oder für die Galadinner, für die man viel Geld zahlen oder Kontakte in höchsten Positionen haben muss; für die After-Dinner-Partys, die sich bis in die frühen Morgenstunden hinziehen, oder für den letzten Espresso oder Whisky in der Hotelbar. Unverzichtbar ist auch der regelmäßige Gang ins Bad, um das Make-up aufzufrischen, die Krawatte zurechtzurücken, Haarschuppen oder ein paar Staubkörnchen von den Jackettschultern zu entfernen, die Lippen nachzuziehen.
Am Ende kehren sie auf ihre Zimmer im Luxushotel zurück, wo ein Glas warme Milch sie erwartet, die Frühstücksspeisekarte, die Wettervorhersage, eine Praline (die allerdings sofort entfernt wird, da sie jede Menge Kalorien bedeutet), ein Körbchen mit Obst (das gierig verschlungen wird, da es viele Ballaststoffe enthält, die gut für den Organismus und gegen Blähungen sind), daneben ein Umschlag mit ihrem in Schönschrift geschriebenen Namen darauf (der niemals geöffnet wird, denn darin steckt der für alle gleiche Willkommensgruß der Hotelleitung). Sie schauen in den Spiegel, während sie die Krawatte abnehmen oder sich abschminken, den Smoking oder das Kleid ausziehen, und sagen sich: ›Heute ist nichts Wichtiges passiert. Vielleicht wird es morgen ja besser.‹
Ewa trägt ein zurückhaltend elegantes Modell von Hamid Hussein. Beide werden zu ihren Plätzen direkt am Ende des Catwalks neben den Fotografen geleitet – die nun auch hereinkommen und ihre Ausrüstung aufbauen.
Ein Reporter tritt zu ihnen und stellt die übliche Frage:
»Monsieur Hussein, welcher ist der beste Film, den Sie bislang im Festivalprogramm gesehen haben?«
»Ich finde es verfrüht, jetzt schon eine Meinung abzugeben«, ist Husseins übliche Antwort. »Ich habe sehr viel Gutes gesehen, aber mit einer Stellungnahme möchte ich bis zum Ende des Festivals warten.«
Tatsächlich hat er keinen einzigen Film gesehen. Aber er würde später mit Gibson sprechen, um herauszufinden, welcher der »beste Film der Saison« ist.
Die blonde, höfliche, gutangezogene junge Event-Assistentin bittet den Reporter zu gehen. Sie fragt Ewa und Hamid, ob sie an dem Cocktail teilnehmen möchten, den die belgische Regierung nach der Modenschau geben wird. Sie fügt hinzu,
Weitere Kostenlose Bücher