Der silberne Sinn
nicht?«
»Normalerweise müsste ich, wie ich es bei Ihnen vorhabe, einige Analysen durchführen: Gramtest, Kulturen anlegen, das übliche Programm eben, um die Art des Bakteriums und das Resistenzmuster zu ermitteln sowie das klinisch wirksamste Antibiotikum auszuwählen…«
»Dazu haben wir keine Zeit. Sie hören doch, um wie viel aggressiver die Krankheit bei den Silbernen verläuft. Sie müssen sofort etwas tun.«
»Da gibt es noch ein anderes Problem, Yeremi: Wir befinden uns im Dschungel. Ich bin zwar gut ausgestattet, aber selbst wenn wir die passenden Medikamente finden, dürfte es ein Mengenproblem geben. Mein Penicillinvorrat ist auf zwei Dutzend Personen ausgelegt, aber das Silberne Volk zählt fünfmal so viel!«
»Was ist mit Hoogevens Truppe? Die müssten doch einen Sanitäter und Medikamente haben.«
»Ich werde mich erkundigen.«
»Nein, Percey, Sie müssen handeln. Wenn es auch nur die kleinste Chance gibt, dann verabreichen Sie dem Silbernen Volk jedes Antibiotikum, das Sie und Hoogevens Sanitäter in ihrem Gepäck finden können.«
Der britische Arzt war normalerweise ein Mann, der sich von niemandem herumkommandieren ließ, schon gar nicht, wenn es um sein Fachgebiet ging, aber als er das entschlossene Funkeln in Yeremis dunklen Augen sah, zögerte er nicht lang. Mit einem Nicken sagte er: »Ich werde mein Bestes tun, Yeremi.« Dann verschwand er aus dem Zelt.
Erst jetzt sah sie, dass die Ordonnanz sich schon wieder aus dem Staub gemacht hatte. Nur Leary war zurückgeblieben, stand vor dem Eingang und blickte finster zu ihr herein.
»Bitte nicht noch eine schlechte Nachricht!«, flehte sie ihn an. Der Ausdruck seines versteinerten Gesichts gefiel ihr nicht.
»Ich sollte dir das besser nicht vorenthalten.«
»Was ist passiert?«
»Die tote Frau…«
»Ja?«
»Es ist Adma.«
Ihnen habe sich ein Bild des Grauens geboten, berichtete Lytton. Er schilderte seine Erlebnisse kühl und distanziert – ein verzweifelter Versuch, das Gesehene von sich fern zu halten. Aber Yeremi durchschaute ihn: Er war zutiefst erschüttert. Sie saß im Krankenzelt auf ihrer Pritsche und hörte ihm atemlos zu. Selbst als Arzt habe er dergleichen noch nie erlebt, gestand er.
Das Rettungsteam hatte aus acht Personen bestanden: einem Captain, dem Sanitäter mit fünf Helfern und ihm, dem Mediziner. Zügig waren sie ins Innere der Höhlen des Orion vorgerückt. Je tiefer sie jedoch eindrangen, desto unheimlicher wurde die Stille um sie herum. Lytton hatte zuvor schon viele Streifzüge in das System unternommen und kannte das Gewirr von Stimmen, das gewöhnlich die Gänge erfüllte. Davon war nichts zu hören.
Als die Helfer dann in der Nähe der Wohnhöhlen auf die ersten Toten stießen, erschauderten sie. Erst da wurde den meisten bewusst, wie schlecht sie auf einen derartigen Notfall vorbereitet waren. Die Einheit verfügte über keinerlei bakteriologische Schutzanzüge. Nicht einmal Gasmasken standen zur Verfügung. Ihre Vorsichtsmaßnahmen beschränkten sich auf Mundschutz und Sturmgewehre. Letztere hatte Hoogeven gefordert, falls seine Männer von Silbernen angegriffen würden, die im Fieberwahn Amok liefen. Aber dazu kam es nicht. Die wenigen noch Lebenden besaßen keine Kraft mehr, um auch nur auf eigenen Beinen zu stehen.
Es war furchtbar! Auf dem Weg zur Halle der Begegnungen drang aus einem der Seitengänge ein leises Klagen zu den Rettern. Als sie dem Geräusch folgten, stießen sie auf eine Frau. Sie litt unter hohem Fieber, war schweißgebadet, und heftiger Schüttelfrost trieb ihre Temperatur immer weiter in die Höhe. Dabei keuchte sie, ihr Atem raste, und ihr Puls galoppierte in tödlichem Tempo. Es gab kein Eis, mit dem man das Fieber hätte radikal senken können, nicht einmal ausreichend starke Medikamente. Schnell schwärmte das Rettungsteam aus, suchte und fand in den benachbarten Wohnhöhlen einige weitere Kranke. Der Todeskampf verlief überall gleich. Ohne wirksame fiebersenkende Mittel fochten die Helfer einen aussichtslosen Kampf. Zwar wurde noch eilig Penicillin gespritzt, aber jede Hilfe kam zu spät. Einer nach dem anderen verlor das Bewusstsein und starb schließlich an Kreislaufversagen.
Weil bis zu jenem Zeitpunkt nur so wenige Opfer gefunden worden waren, habe er Hoogevens Männer zur Eile angetrieben, fuhr Lytton in seinem Bericht fort, nachdem er sich bei geschlossenen Augen einen Moment der Besinnung zugestanden hatte. Möglicherweise habe man die Kranken in ihren
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