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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ihrer Erinnerung nach Kalifornien begleiten, sondern auch Saraf Argyr…
    Nirgendwo war in den Höhlen und Gängen unter dem Berg eine einzelne Leiche gefunden worden, obwohl das Team in den zwei Wochen nach der Operation Clean Sweep jeden Winkel des Systems erkundet hatte. Dafür entdeckten die Forscher tief unter dem Explosionsherd Alltägliches und Wundersames, das von der hohen Kunstfertigkeit der Silbernen zeugte. Eines war jedoch auffällig: Es wurde kein einziges Dokument gefunden, sei es aus Papier, Pergament, Ton oder einem anderen Material. Das Triptychon aus der Halle des Gebets blieb das einzige Indiz für die Fähigkeit des Silbernen Volkes, Aufzeichnungen anzufertigen. Oder war es nur die Kopie einer lange nicht mehr existierenden Vorlage, deren Bedeutung weder der Hüter noch sein Volk gekannt hatten?
    Irma Block schoss in den Höhlen Hunderte von Fotos. So konnten sich die Wissenschaftler später ein genaues Bild vom Habitat des Silbernen Volkes machen und die Petroglyphen und Wandfriese studieren, die das Feuer der Daisy Cutter überstanden hatten. Möglicherweise war in den Felsgravuren ja eine geheime Botschaft enthalten.
    Je näher der 6. Dezember – der Tag des Aufbruchs – heranrückte, desto längere Streifzüge unternahm Yeremi durch den Garten Gottes. Mehrmals beschlich sie dabei das Gefühl, beobachtet zu werden. So unerklärlich es für sie auch blieb, verlor sie doch allmählich die Scheu vor dem Unsichtbaren, der über sie wachte. Ja, genau diese Gewissheit spürte sie tief in ihrem Innern.
    Die Feier am Vorabend der Abreise erinnerte sie an einen Leichenschmaus. Unsworth hatte Wachanas Jagdbeute – einige Affen – in ein kulinarisches Wunderwerk verwandelt und Hoogeven aus Armeebeständen eine Kiste Rum spendiert, dem gewisse Herren so hingebungsvoll zusprachen, als sei die Vernichtung des Getränks Ziel eines Kampfeinsatzes. Leary glänzte dabei durch besonderes Stehvermögen und eine beschwingte Laune. Er schien es kaum erwarten zu können, seinem Boss persönlich Bericht zu erstatten, so gelöst wirkte er. Oder hatte er die Heiterkeit nur vorgetäuscht, um etwas zu verbergen? Die Stimmung seiner Kollegen von Mental Health war jedenfalls gedämpft. Dave Clarke machte ein betrübtes Gesicht, als seien ihm sämtliche Pflanzenpräparate abhanden gekommen. Dabei warf er Yeremi verstohlene Blicke zu, die sie geflissentlich übersah. Ja, sie mochte ihn auch, aber mehr ließen ihre Gefühle nicht zu.
    Einige Minuten nach zwölf verabschiedete sie sich in die Nacht. Die Proteste des Teams – vor allem die von Leary – ließ sie nicht gelten. Sie habe ihre Sachen noch nicht gepackt. Der weitere Widerspruch verhallte im Wald.
    Wenig später saß sie in einer Lichtwolke auf ihrer Schlafunterlage, über sich das Moskitonetz, auf dem Schoß einen Rucksack, und kramte in ihren Habseligkeiten. Sie vermisste ihren Pass. Von draußen hallte Learys Gelächter herein. Entnervt ließ sie das schwere Gepäckstück auf den Boden sinken und zog sich den zweiten Rucksack heran. Weil sich die Papiere in den Außentaschen nicht fanden, begann sie ein Kleidungsstück nach dem anderen auszuräumen und neben sich aufs Bett zu legen. Ganz unten stieß sie auf das blutverschmierte Snoopy-T-Shirt. Sie seufzte bedauernd und legte es zu den anderen Sachen. Plötzlich vernahm sie einen Laut. Ihr Kopf fuhr hoch.
    Hinter dem Moskitonetz – in ihrem Zelt! – ragte ein Schemen auf.
    Al!, schoss es ihr durch den Kopf. Offenbar wollte Leary ihr frühes Ausscheiden aus der Runde nicht akzeptieren. Sie bezwang den Schauder, den der Gedanke an seinen geheimnisvollen Auftritt heraufbeschworen hatte, und wappnete sich für eine Konfrontation. Sodann packte sie das Insektennetz und schoss wie eine Furie darunter hervor.
    Nur eine Handbreit von ihr entfernt stand gebeugt und ernst – Saraf Argyr.
    »Madre mia!«, keuchte sie. »Haben Sie mich erschreckt!« Sie taumelte haltlos rückwärts, blieb mit der Ferse an der Isomatte hängen, suchte und fand mit der Hand das Moskitonetz, riss es von dem Haken im Zeltdach und fiel – eingewickelt wie eine Riesenmotte im Spinnennetz – einigermaßen sanft auf ihre Schlafunterlage. Trotzig kämpfte sie sich wieder frei und funkelte den Silbermann von unten herauf an.
    Saraf hielt den Kopf schräg, als warte er auf das Echo ihrer Stimme. Ein merkwürdiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Wegen ihrer unfreiwilligen Slapstickeinlage hatte Yeremi von ihm Heiterkeit erwartet, vielleicht

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