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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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aber sogar STSS auftreten, das so genannte Streptococcus-Toxic-Shock-Syndrome – es verläuft in dreißig Prozent der Fälle tödlich.«
    Yeremi wurde heiß und kalt zugleich. »Wollen Sie damit andeuten…?«
    »Nein, nein«, unterbrach der Arzt sie rasch, die Hände zu einer abwehrenden Geste erhoben. »Ich habe Ihnen zusätzlich zum Penicillin noch Clindamycin verabreicht, als mir der Verdacht kam, es könne sich um STSS handeln. Seitdem sind keine neuen Symptome aufgetreten, die einen solchen Befund stützen würden. Normalerweise sollten Sie über den Berg sein.«
    »Das klingt aber alles andere als beruhigend.«
    Lytton zog ein Taschentuch aus der Hose und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. »Wie ich schon sagte, der Erreger ist alles andere als gewöhnlich…« Er schien nach Worten zu suchen, sie aber nicht zu finden.
    »Raus mit der Sprache, Percey. Was haben Sie festgestellt?«
    »Ich kann es mir offen gestanden noch nicht erklären. In Ihrem Blut, genauso wie in dem der Verstorbenen, fand sich derselbe neue Bakterienstamm.«
    »Neu?«
    »Unbekannt, wenn Ihnen dieser Ausdruck lieber ist. Natürlich können wir hier keine PCR- beziehungsweise RAPD-Analysen…«
    »Bitte reden Sie Klartext, Percey! Ich verstehe kein Wort.«
    »Verzeihung. Ja, wie gesagt, es gibt da einige molekularbiologische Methoden, für die wir ein stationäres Labor in Anspruch nehmen müssten: die besagte PCR, also die Polymerasekettenreaktion, oder eine Abwandlung davon, die sich Random amplified polymorphic DNA, kurz RAPD, nennt. Mit solchen Verfahren kann man Mikroben sehr genau untersuchen. RAPD dient der Anfertigung von DNA-Fingerabdrücken. Selbst äußerlich scheinbar gleichartige Bakterien können sich je nach Herkunft ihres Stammes in einigen Erbanlagen unterscheiden. Mit den DNA-Fingerprints lassen sich die kleinen Biester sehr genau identifizieren.«
    »Bitte treffen Sie sämtliche Vorbereitungen, um diese Untersuchungen gleich nach unserer Rückkehr in die Wege zu leiten, Percey. Wir müssen alles über diesen neuen Erreger erfahren, was man herausfinden kann. Wo könnte er Ihrer Meinung nach herkommen?«
    »Norryl und ich haben lange darüber diskutiert. Beide dachten wir zunächst an ein Bakterium, das sich bisher in diesem Winkel der Welt versteckt hat.«
    »Und warum ist ihm das Silberne Volk dann nicht schon viel früher zum Opfer gefallen?«
    »Genau das haben wir uns auch gefragt. Ihr Immunsystem hätte sich schon vor langer Zeit auf diesen Stamm einstellen müssen.«
    »In welcher Beziehung kann das Bakterium dann trotzdem neu sein?«
    Der Arzt und der Pharmakologe wechselten einen viel sagenden Blick. Dann war es Unsworth, der zu einer Erklärung ausholte.
    »Es könnte sich um einen durch Umwelteinflüsse mutierten Streptokokkenstamm handeln oder…«
    »Oder?«
    »Genmanipulation«, sagte Lytton mit ausdrucksloser Miene. »Um künstlich hergestellte Krankheitserreger.«
     
     
    »Faultiere sind wirklich faul«, sagte Wachana und rekelte sich in der Sonne. Seit er als Dolmetscher nicht mehr gefragt war, verdiente er sein Geld hauptsächlich mit Müßiggang und einigen kleinen Handreichungen.
    Yeremi schloss das Textdokument mit dem Expeditionstagebuch und klappte ihr Notebook zu. »Was hast du gesagt?«
    Der Indianer deutete in die Baumkronen hinauf.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie das träge Tier entdeckte. Sie lächelte, und ihr Blick kehrte zu Wachana zurück. »Morgen verlassen wir diesen Ort, und es gibt tatsächlich ein paar hartgesottene Optimisten in unserem Team, die das feiern wollen. Norryl wäre dir dankbar, wenn du ihm etwas für seinen Grillspieß besorgst, ein paar Nabelschweine, Hokkohühner, was immer dir vor den Bogen läuft.«
    »Die Tageszeit ist nicht sehr günstig für die Jagd.«
    »Und wenn ich dich darum bitte?«
    Wachana seufzte, quälte sich dann aber doch wie ein hundertjähriger Greis in eine aufrechte Position. »Für meine große Schwester finde ich etwas ganz Besonderes, das verspreche ich dir.«
    Yeremi brachte ein Lächeln zu Stande. »Das ist lieb von dir, Wachana. Ich werde dich vermissen, wenn ich erst wieder in meinem klimatisierten Büro in Berkeley sitze.«
    Der Indianer räusperte sich verlegen und verschwand mit federnden Sprüngen zwischen den Zelten.
    Nachdenklich blickte sie hinter ihm her. Die Expedition war für sie eine Stafette von Katastrophen gewesen, und trotzdem erfüllte sie der Gedanke an die Abreise mit Wehmut. Nicht nur Wachana würde sie in

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