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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zerrissen. Was Saraf da von ihr verlangte, konnte ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen. Doch schließlich schob sie ihr Unbehagen beiseite – was bedeuteten schon ihre Bedenken, die beklemmenden Gefühle im Vergleich zum Tod des Silbernen Volkes? – und nickte.
    »Also gut, Saraf. Ich werde mich für eine restlose Aufklärung der Vorgänge in den Höhlen einsetzen. Das ist ein Versprechen.«
    »Du brauchst keinen Schwur zu leisten, Yeremi Bellman. Ich glaube dir auch so.«
    Und ich wünschte, du wärst nicht so überzeugt von meiner Aufrichtigkeit!, schrie sie im Geist und sagte, wie zur Entschuldigung: »Es ist schließlich auch in meinem Interesse, die Vorfälle in den Höhlen aufzuklären. In letzter Zeit sind mir da einige… Merkwürdigkeiten aufgefallen, denen ich ohnehin auf den Grund gehen wollte. Sollte irgendjemand deinem Volk dieses Unrecht mit Vorsatz zugefügt haben, dann wird er dafür bezahlen. Ob du es hören willst oder nicht: Ich schwöre es.«
    Saraf nickte zufrieden. Erkennbar fiel eine große Last von ihm ab. Doch mit der schwindenden Anspannung kehrte der Schmerz zurück. Erfüllt von tiefer Trauer über den Tod seiner Schutzbefohlenen und doch würdevoll, verkündete er: »Dann werde ich nun durch die Reihen der fremden Krieger schlüpfen und mir einen friedlicheren Ort suchen, so wie es das Silberne Volk schon oft getan hat.«
    Yeremi verstand immer besser, weshalb die Silbernen sich so lange vor der Welt versteckt halten konnten. Aber da gab es noch ein anderes und größeres Geheimnis, das ihr Hüter in seinem Kopf verwahrte; das glaubte sie sicher zu spüren.
    »Ich lasse dich nicht gehen«, hörte sie sich unvermittelt sagen.
    Der Silbermann wirkte nicht überrascht. Ruhig blickte er sie an.
    »Mein Versprechen, dir zu helfen, werde ich halten«, fügte sie schnell hinzu, »aber ich knüpfe eine Bedingung daran.«
    »Das war nicht abgemacht.«
    »Frauen verhandeln immer so.«
    »Ich wusste nicht, dass wir in Verhandlung stehen.«
    »Du musst mich in die USA begleiten, Saraf, in meine Heimat. Dort habe ich einflussreiche Freunde. Ohne deine Hilfe kann ich die Rätsel, die dein Volk umgeben, nicht lösen.« Ihre wahren Motive für den Vorbehalt sprach Yeremi nicht aus: Sollten die Militärs einen Überlebenden des Massensterbens finden, dann würden sie womöglich Saraf zum Sündenbock abstempeln. So Furcht einflößend der Waldläufer auch für Yeremi war, so wenig hatte er es doch verdient, in irgendeinem guyanischen Gefängnis zu verrotten oder gar auf den Seziertischen von Wissenschaftlern zu enden, die ihn mit ziemlicher Sicherheit als letzten Vertreter einer ausgestorbenen Spezies bis auf das letzte Molekül erforschen und dann zur gefälligen Begaffung als Mumie in einem naturhistorischen Museum ausstellen würden.
    »Nur du bist noch übrig von deinem stolzen Volk«, fügte Yeremi ernst hinzu. »Wenn du mit mir gehst, kann ich dich beschützen, und du wirst deine Bestimmung vielleicht in einer neuen Welt doch noch erfüllen können.«
    Saraf betrachtete Yeremi auf eine Weise, die sie frösteln machte. Wusste er, was ihr durch den Kopf ging? Schließlich nickte er.
    »Ich werde mit dir gehen.«
     
     
    Yeremi stand etwas abseits auf dem Dach des Waldes und beobachtete, wie ein Teil der Ausrüstung in einen Hubschrauber verladen wurde. Nervös blickte sie auf ihr wasserdichtes Chronometer. In einer guten Stunde würde ein zweiter Helikopter eintreffen, der das Team ausfliegen sollte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, Sarafs Plan zuzustimmen?
    Sie zwang sich zur Ruhe, atmete tief ein und wieder aus. Die Verladung der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände war fast abgeschlossen. Der Rest würde erst später nach Georgetown verbracht werden.
    Traurig ließ sie ihren Blick über die Baumwipfel schweifen – ihre Art, vom Garten Gottes Abschied zu nehmen. Als ihre Augen zum Ende der Felsstiege zurückkehrten, tauchten dort gerade die geröteten, schweißüberströmten Gesichter zweier Soldaten auf. Die Männer schleppten sich mit einer Holzkiste ab, die sofort Yeremis Aufmerksamkeit erregte. Das annähernd kubische Behältnis besaß eine Seitenlänge von mehr als einem Meter. Die Expedition verfügte nicht über derart sperriges Gut. Während die Uniformierten noch ihre gewichtige Ladung auf das Plateau bugsierten, erschien Al Learys Kopf über dem Felsentisch. Sein Blick klebte förmlich an der Kiste. Yeremis Neugier war nun endgültig geweckt. Mit wenigen Schritten erreichte sie

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