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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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niemand nahm von ihm Notiz. Alle Passagiere verhielten sich so, als wäre er nur eine Fliege an der Wand, etwas, das ihre Aufmerksamkeit nicht verdiente. Für das Team war Saraf Argyr unsichtbar.
    Endlich hob die Maschine ab, stieg über die Baumwipfel empor und neigte hierauf die Nase nach vorne, um vom Steig- in den Geradeausflug überzugehen.
    Während der ganzen Reise blieb Saraf der Letzte auf der Bank, der Nachzügler, den keiner beachten wollte, solange er sich nicht selbst bemerkbar machte. Und er hütete sich davor, dies zu tun. In Lethem wechselten die Wissenschaftler und ihre Begleiter in ein ziviles Flugzeug, das kurz darauf in Richtung Georgetown startete. Mit Ausnahme von Yeremi sprach weder auf dem Flugfeld noch in der Turbo-Prop-Maschine irgendjemand mit dem wundersam gebleichten »Riesenwachana«, der gar nicht Wachana war. Niemand kümmerte sich um ihn. Yeremi konnte es nicht fassen. Ihr Schützling wurde ihr immer unheimlicher.

 
     
     
     
    DRITTER TEIL
     
     
     
    VERHÄNGNISVOLLE
    BEZIEHUNGEN

 
    DIE VERWANDLUNG
     
     
     
    Georgetown (Guyana)
    6. Dezember 2005
    14.51 Uhr
     
    »Wo ist Wachana?« Abbatissajerilynn Hamilton-Longhorne machte auf Yeremi den Eindruck einer Wissenschaftlerin, die so vergreist und zerstreut war, wie sie selbst es wohl nie werden würde. Sarafs stundenlange »Gefühlsspielerei« hatte nicht nur ihn, sondern auch seine »Instrumente« erschöpft. Jetzt waren sie verstimmt.
    Yeremis Blick verweilte noch bei dem Tor am Rande des Flughafens, durch das der Silbermann gemächlich herausspaziert war, ohne von den Wachen beachtet worden zu sein, und antwortete leise: »Ich glaube, er will nicht länger in unserer Welt bleiben, als unbedingt nötig ist.«
    »Ginge mir an seiner Stelle wohl auch nicht anders. Du hast alles für seinen Weiterflug arrangiert?«
    Endlich wandte sich Yeremi wieder ihrer Kollegin zu. »Ich werde im Hotel noch einige Telefonate führen, nur zur Sicherheit.«
    »Tu das. Willst du wirklich nicht mit uns ins Le Meridien Pegasus gehen und Abschied feiern?«
    »Wir haben doch gestern schon…« Sie lächelte schief. »Sei mir bitte nicht böse, aber das Pegasus-Hotel bereitet mir Albträume. Außerdem fürchte ich, wir werden spätestens in der Empfangshalle von Reportern umlagert, und die dürften schnell herausfinden, wo unser Team logiert. Ich möchte nicht auf Schritt und Tritt von Kameraobjektiven verfolgt werden, sondern mich hier vor dem Heimflug noch ein paar Tage erholen.«
    »Also hast du dir einen geheimen Zufluchtsort gesucht, Vollpension inklusive.«
    »So könnte man sagen.«
    »Also schön. Wir sehen uns ja dann in Berkeley.«
    Yeremi nickte. »Ach! Da fällt mir noch eine Frage ein, Abby. Sagen dir die Namen ›Hirguan‹ und ›Abora‹ irgendetwas?«
    Die Anthropologin schürzte die Lippen. »Warte… Ja! Ich kenne sie von meiner Arbeit über die atlantische Westkultur. Vielleicht erinnerst du dich an unser Gespräch über die Nachfahren der Cromagnon. Sie waren ein Volk von Seefahrern, das viele Kolonien gründete, unter anderem auch auf den Kanarischen Inseln; möglicherweise dienten diese ihnen sogar als Sprungbrett über den Atlantik. Wie auch immer: ›Abora‹ stand bei den kanarischen Ureinwohnern für das Gute, während die böse Gegenmacht auf der Insel El Hierro ›Hirguan‹ hieß, auf La Palma ›Iruene‹ und ›Guayote‹ auf Teneriffa…«
    »Das Böse hat viele Namen«, murmelte Yeremi und nickte wie jemand, dem gerade ein Licht aufging. »Danke, Abby, und passt auf euch auf. Du hast mir sehr geholfen.«
     
     
    »Ich werde nicht in diese Sänfte steigen, sie stinkt, und Träger sind auch keine da«, sagte Saraf trotzig. Mit der Hand beschirmte er seine empfindlichen Augen.
    Zum Glück war der Fahrer und – dem Lizenzdokument am Armaturenbrett nach zu urteilen – Eigentümer des Taxis des Spanischen nicht mächtig. Sein Aussehen verriet indische Wurzeln. Yeremi stöhnte leise. Sie hatte den Silbermann wie verabredet außerhalb des Flughafens an der stark befahrenen Straße entdeckt, saß selbst bereits in der »Sänfte« und stand nun vor der durchaus schwierigen Aufgabe, dieses nicht gerade dschungelgerechte Beförderungsmittel einem einigermaßen verwirrten Waldläufer schmackhaft zu machen. Vielleicht konnte sie ihn mit einem Präzedenzfall aushebeln.
    »Du bist doch auch in den Hubschrauber gestiegen, Saraf. Der hat noch viel mehr gestunken und wie ein Drache getobt. Diese… Sänfte hier fliegt nicht

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