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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hypothetisch gesprochen –, Sie würden im Zeugenstand vor Gericht stehen. Würden Sie als Ursache für die ominösen Vorfälle der letzten Zeit eine Verschwörung kategorisch ausschließen?«
    Lytton war anzusehen, wie ungern er auf diese Frage antwortete. Grimmig schüttelte er den Kopf. »Nein, gänzlich verwerfen kann man diese Möglichkeit wohl nicht.«
     
     
    Yeremi fand Wachana bei dem Gepäck der Wissenschaftler. Sie hatte ihn am frühen Morgen um einen Gefallen gebeten und ihm Bedenkzeit eingeräumt.
    »Wie geht es dir?«
    »Gut«, antwortete der Indianer. »Ich darf jetzt endlich nach Hause.«
    »Mit der Bezahlung ist alles geklärt. Auch die Geflohenen bekommen ihren Anteil.«
    »Das ist sehr großzügig von dir, Yeremi.«
    »Hast du dir meinen Vorschlag überlegt?«
    »Ja. Ich werde tun, worum du mich gebeten hast. Falls kein Kanu mehr da ist, baue ich mir ein Floß. Ich schlage mich schon irgendwie nach Gunn’s Strip durch. Da gibt es nur eine Sache, die ich nicht verstehe.«
    »So?«
    »Warum bist du so versessen auf mein altes Sporthemd und die Shorts?«
     
     
    Als sich Yeremi zum Einsteigen in geduckter Haltung dem Hubschrauber näherte, kam ihr Sarafs Plan aberwitzig vor. Es würde nicht gelingen. Als Letzte des Teams kletterte sie durch die offene Luke in den Bauch der mörderisch dröhnenden Maschine. Was für einen Lärm würde das Ding erst machen, wenn es abhob?
    Der Innenraum des Bell Huey bot den Passagieren ein spartanisches Ambiente: zwei längs der Flugrichtung am Boden festgeschraubte Sitzreihen, mehr nicht. Yeremi nahm schräg gegenüber Leary Platz. Er reckte den Daumen nach oben und brüllte: »Ich liebe den Iroquois! Wo bleibt Wachana?«
    Sie gab sich genervt, verdrehte die Augen und schrie zurück: »Du weißt ja, wie er ist. Mit der Pünktlichkeit nimmt er es nie so genau.«
    Der Psychologe nickte grinsend und sah zum Cockpit. Offenbar wollte er ihr nach dem Vorfall auf dem Felsplateau keine Gelegenheit mehr geben, lästige Fragen zu stellen, und der Lärm machte ohnehin jede längere Unterhaltung unmöglich. Unwillkürlich musste Yeremi wieder an die Begegnung der letzten Nacht denken. Was hatte Saraf über das Entschwinden der gelben Geister gesagt? Es habe ein gleißendes Licht gegeben, das mit großem Getöse vom Himmel herniederfuhr… Hatte er womöglich den Suchscheinwerfer eines Helikopters gesehen?
    Verstohlen musterte sie die wartenden Männer und Frauen. Abgesehen von Leary schien sich in dem fliegenden Oldtimer niemand so recht wohl zu fühlen.
    Plötzlich fiel ein Schleier der Gleichgültigkeit auf die Gesichter.
    Niemand blickte mehr zur Luke, als dort eine hoch gewachsene Gestalt auftauchte. Sie steckte in engen, schmutzigen roten Shorts mit schwarzen Längsstreifen und einem blauen, ärmellosen, deutlich zu kurzen Hemd, das vor Löchern und Flecken nur so starrte. Wachanas Kleider passten Saraf nicht besonders gut.
    Der Silbermann blinzelte. Im grellen Sonnenlicht konnte er sich nur mit Mühe orientieren. Der letzte Schritt in das Innere des lärmenden Ungetüms schien für ihn ein besonders großer zu sein. Hinter ihm stand ein Infanterist und wartete mit glasigen Augen auf das Einsteigen des Passagiers. Wie lange würde der Soldat sich noch täuschen lassen? Nun komm endlich rein!, schrie Yeremi in stillem Bangen. Als habe Saraf ihre Gedanken gehört, fuhr plötzlich ein Ruck durch seinen Körper, und er kletterte vorsichtig in den Hubschrauber. Der Soldat schloss die Luke, und der Motor brüllte auf.
    Yeremi verfolgte, wie Saraf bedächtig auf den freien Platz neben Leary zustrebte und sich hinsetzte. Die Bewegungen des Silbermannes erinnerten sie an jenes Faultier, das sie kürzlich beobachtet hatte. Als er endlich mit steifem Rücken an der Bordwand saß, wirkte er bis in die Haarspitzen verkrampft. Nie hatte sie sein Gesicht so kreidebleich gesehen. Diese Flugreise würde an die Grenzen seiner mentalen Belastbarkeit gehen. Er bewegte keinen Finger. Nur die Mundwinkel verzogen sich zu einem gequälten Lächeln, als seine blauen Augen Yeremis Blick auffingen und sich daran festklammerten wie an einer Halteleine. Sie gab sich alle Mühe, zuversichtlich auszusehen. Mehr konnte sie nicht tun, um ihm Mut und Kraft einzuflößen. Beides würde er brauchen, denn sollte die Angst vor dieser fremden Situation ihn übermannen, würde unweigerlich auch seine Tarnung auffliegen. Der Silbermann war so ungefähr in allem das genaue Gegenteil von Wachana Yaymochi.
    Aber

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