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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einmal.«
    »Bist du dir sicher?«
    Yeremi bemerkte, wie die dunkel umrandeten Augen des Fahrers sie im Rückspiegel beobachteten. In diesen Breitengraden war das Zusteigen von Fahrgästen zwar eine häufig praktizierte Übung zur Umsatzsteigerung, aber der bärtige Riese in seinem knappen Sportdress schien dem Taxibesitzer nicht geheuer zu sein.
    »Ich zahle für ihn«, erklärte Yeremi.
    Die Augen im Spiegel verengten sich.
    »Und noch ein dickes Trinkgeld dazu.«
    Im Reflektor gingen zwei braune Sonnen auf.
    Endlich konnte sich Yeremi wieder um ihren Schützling kümmern. »Saraf, wir verursachen noch einen Auffahrunfall, wenn wir länger auf dieser Ausfallstraße stehen bleiben. Oder die Polizei kommt und verpasst dem Chauffeur einen Strafzettel…« Sie verstummte, weil im Gesicht des Silbermannes nur noch Ratlosigkeit zu sehen war. »Vermutlich hat sich Kolumbus noch nicht mit Cops herumstreiten müssen, die seinem Gaul ein Ticket unter den Pony klemmen wollten«, brummte sie unwillig in sich hinein und beugte sich dann weit aus dem Wagen.
    »Steig ein, Saraf!«
    Ihr energischer Appell zeigte sofort Wirkung. Der Silbermann gehorchte. Etwas umständlich wirkte es schon, wie er sich in den Mitsubishi faltete. Die beiden Augen im Rückspiegel waren von dem Schauspiel geradezu gebannt.
    »Sie können jetzt losfahren«, erinnerte Yeremi den Taxiunternehmer an seine Pflichten. Er schrak zusammen und drückte aufs Gaspedal. Mit quietschenden Rädern schoss sein Wagen davon.
    »Wo soll’s denn hingehen, Ma’am?«, fragte er nach einer Weile.
    Yeremi warf einen Seitenblick auf Saraf und antwortete: »Bringen Sie uns zu einem anständigen Herrenausstatter.«
    »Guter Vorschlag, Ma’am.« Der Fahrer verzog keine Miene.
     
     
    Das Bekleidungsgeschäft lag in der Main Street, einer geschäftigen Allee in Georgetowns historischem Zentrum. Es war durch und durch nobel: Teppichboden zum Versinken, Tropenholz, das man unentwegt polieren mochte, und Spiegel zum Blenden. Ein Messingglöckchen verkündete die Ankunft der neuen Kundschaft.
    Da um vier Uhr nachmittags die Läden schlossen, wollte bei dem älteren Herrn hinter dem Tresen keine rechte Freude aufkommen, als eine Kundin nur wenige Minuten vor dem Kassensturz allzu forsch die Glastür durchschritt. Kinn, Nase und auch die grauen Augenbrauen des beinahe kahlköpfigen Ladenbesitzers gingen wie von Fäden gezogen in die Höhe. Seine Kundschaft pflegte sich standesgemäß zu kleiden, wenn sie bei ihm um Bedienung ersuchte, aber so wie diese junge Dame aussah, hätte sie geradewegs aus dem Dschungel kommen können.
    Archibald Twinankle – man nannte ihn auch den »Schneider von Georgetown« – dräute, dass diesem an sich absurden Eindruck mehr als nur ein Hauch von Wahrheit anhaftete, als er die beiden Rucksäcke gewahrte, die hinter der Frau ins Geschäft bugsiert wurden. Der Träger war ein grobschlächtiger Kerl: riesengroß, bärtig, blond und…
    Mr Twinankle erstarrte, als Yeremi den Blick auf Saraf Argyrs sportliches Outfit freigab. »Wir sind ein Herrenausstatter«, rief er der Kundin eilig entgegen, um ihr und ihrem Kofferkuli die Zeitverschwendung eines längeren Aufenthalts in seinem Geschäft zu ersparen. Er überlegte, ob es einen Sinn machen würde, die Rollos herunterzulassen – man sollte die Stammkundschaft nicht vergraulen.
    »Guten Tag«, sagte Yeremi. »Dann bin ich hier ja genau richtig.«
    »Madam?«, erwiderte der Ladenbesitzer und sah dabei aus, als habe sie ihn nach der Schuhgröße von Quetzalcoatl gefragt.
    Sie drehte den Oberkörper nach rechts, deutete lächelnd mit beiden Händen auf Saraf Argyr und sagte: »Ich möchte gerne diesen Herren hier einkleiden.«
    Mr Twinankle schaute erst die kühne junge Frau an, dann »diesen Herren« und schließlich wieder sie. »Das könnte… nicht ganz billig werden.«
    Sie zog einen ledernen Brustbeutel unter ihrem T-Shirt hervor, entnahm diesem eine American Express Platin Card und legte sie auf den Verkaufstisch. »Darauf bin ich vorbereitet.«
    Allmählich taute Mr Twinankle auf. Er gewann Interesse an dieser Herausforderung. Den Kopf in den Nacken gelegt, umschlich er Saraf und erinnerte dabei ein wenig an Christo, der die Verhüllung der New Yorker Freiheitsstatue in Angriff nahm. Nach einer Weile nickte er.
    »Sie treiben Sport?«
    Saraf sah ihn verständnislos an.
    »Er spricht Spanisch«, erläuterte Yeremi.
    »Ah!«, machte Mr Twinankle, als sei damit alles erklärt. »Sehr

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