Der silberne Sinn
noch ein Mann und ein Bett befanden. Am liebsten hätte sie der Empfangsdame Lebewohl gesagt und die Flucht ergriffen – der ganze Plan kam ihr immer aberwitziger vor. Sie hatte eine Suite mit zwei Schlafräumen buchen wollen, um sich ganz ungestört der Ausbildung Sarafs widmen zu können. Während seiner ersten Schritte in einer ihm fremden Welt konnte so viel schief gehen! Er musste lernen, sich wie ein Amerikaner zu benehmen, nur dann konnte er in der anonymen Masse untertauchen. Im Augenblick zweifelte Yeremi jedoch daran, dieses Ziel jemals zu erreichen.
Lisa Martinez wartete geduldig auf eine Antwort. Yeremi schob die Zweifel beiseite. Sie bemühte sich, freundlich und gelassen auszusehen. »Mr Silverman ist mein Partner.«
»So habe ich mir das vorgestellt«, antwortete Lisa Martinez nickend und mit wissendem Lächeln.
»Eben nicht!«, beeilte sich Yeremi dagegenzuhalten. »Es ist eher eine… geschäftliche Verbindung.«
»Selbstverständlich.«
»Wir haben viel zu besprechen und brauchen dafür eine ungestörte Umgebung.«
»Dafür habe ich vollstes Verständnis.«
Saraf wandte sich Yeremi zu und sagte gleichmütig: »Lisa Martinez beneidet dich.«
Das schwarzbraune Gesicht der Empfangsdame wirkte plötzlich beinahe fahl. Verstörte Blicke schossen zwischen den Frauen hin und her.
»Ich kann Ihnen die Walter-Raleigh-Suite und ein benachbartes Zimmer geben«, sagte Lisa Martinez rasch, und es klang, als werde sie mit der Pistole bedroht.
»Ich weiß nicht…«, grübelte Yeremi wie jemand, der von der Hochwertigkeit des Angebots nicht recht überzeugt ist.
Lisa Martinez wirkte pikiert und begann sogleich, ihr Hotel zu verteidigen. »Alle unsere Suiten bieten höchsten Komfort, der sogar die Ansprüche gekrönter Häupter befriedigen konnte: 1923 hat Edward VII. hier logiert, 1996 Ex-Präsident Jimmy Carter, und erst vor fünf Jahren durften wir Seine königliche Majestät Prinz Charles…«
»Wir nehmen die Zimmer«, unterbrach Yeremi die beeindruckende Aufzählung.
»Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Auch… Mr Silverman?«
»Er vertraut völlig auf meinen Geschmack.«
»Ich könnte eventuell ein anderes Hotel anrufen und mich erkundigen, ob…«
»Das wird nicht nötig sein. Die Räume sind bestimmt reizend. Wenn sogar der Prince of Wales sich hier wohl gefühlt hat…«
Lisa Martinez lachte auf – ihr Ärger war schon verflogen. »Dann dürften Sie und Ihr… Partner es auch tun. Sie werden sehen, Professor Bellman, man muss kein Gebieter über ein ganzes Volk sein, um sich bei uns wohl zu fühlen.«
Nach der dezenten Übergabe eines stattlichen Trinkgeldes hatte sich das vorübergehend schwächelnde Gedächtnis des Concierge erstaunlich schnell erholt. Kein Wort mehr von seinem begrenzten Aufgabengebiet, das bei der Reservierung von Tischen in teuren Restaurants beginne und bereits mit der Vermittlung von Theaterkarten ende. Plötzlich fiel ihm auch eine Lösung für Yeremis nur flüsternd vorgetragenes Anliegen ein. Doktor Singh sei genau der Richtige für solche Fälle.
Kaum eine halbe Stunde später klopfte es an der Tür der Suite. Yeremi öffnete und ließ den Mann ein, der dem Aussehen nach vom indischen Subkontinent stammte. Der Arzt war kahlköpfig, über Augen und Oberlippe wucherte das schwarze Haar dafür umso hemmungsloser. Singhs Statur ließ sich am besten mit dem Wort »übersehbar« beschreiben: Wenn der große, aber extrem schmal gebaute Mann einem die Schulter zeigte, wurde er praktisch unsichtbar.
Er trug einen schwarzen Maßanzug und eine Tasche aus erlesenem Büffelleder. Als er Yeremi die schweißfeuchte Hand reichte, entdeckte sie auf dem abgestoßenen Ärmel seines Jacketts einige dunkle Flecken. Vielleicht Blut?
Der Concierge des Hotels hatte zugesichert, Singh behandele nur Privatpatienten, verstehe sich auf Diskretion und das flinke Ausfüllen stattlicher Liquidationen. Dafür sei er aber auch sehr kundig in der Behandlung unerklärlicher Schuss Verletzungen, Schwangerschaften und anderer »Zivilisationskrankheiten«.
Yeremi bot dem Besucher einen Platz an. Doktor Singh setzte sich auf die vordere Kante des von Saraf Argyr am weitesten entfernten Sessels. Der Silbermann verfolgte wie eine zum Sprung bereite Katze vom Sofa her jede Bewegung des Arztes. Singh erkundigte sich mit einschmeichelnder Stimme nach dem Grund des abendlichen »Noteinsatzes«, wobei er jeden Blickkontakt mit dem muskulösen Hünen vermied.
»Ich möchte, dass Sie mir Blut
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