Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
abnehmen«, antwortete Yeremi.
    Der Arzt hob eine pechschwarze Augenbraue, blickte nun doch, wenngleich nur kurz, zu Saraf, dann erneut zu ihr. »An welche Menge hatten Sie denn gedacht?«
    Yeremi stutzte. Dann fielen ihr wieder die Worte des Concierge ein. Sie schüttelte den Kopf. »Ich will keine schwarze Messe abhalten oder sonst ein schauriges Ritual. Sie sollen nur mein Blut von einem Labor untersuchen lassen.«
    »Wäre es Ihnen sehr unangenehm, wenn die Probe nicht Ihren richtigen Namen trüge?«, fragte Doktor Singh mit süffisantem Lächeln.
    »Nein«, antwortete Yeremi. Der Mediziner war ihr alles andere als sympathisch.
    »Soll das Labor in eine ganz bestimmte Richtung suchen? Aids? Syphilis? Schwangerschaftstest?…«
    »Es geht um eine von Streptokokken verursachte Sepsis. Jedenfalls nehme ich das an. Ich möchte eine möglichst präzise Identifikation des Erregers.«
    »Welche Symptome?«
    »Ich bin mit Penicillin behandelt worden und inzwischen beschwerdefrei.«
    »Seit wann?«
    »Die Krankheit hat sich erstmals am 18. November bemerkbar gemacht. Seit ungefähr zwei Wochen geht es mir wieder gut.«
    Der Arzt seufzte, als habe er im Lotto die richtigen Zahlen getippt, aber vergessen, den Schein abzugeben. »Dann muss ich Sie leider enttäuschen, Mrs Bellman. Abgetötete Mikroben sind im menschlichen Organismus nur wenige Stunden lang nachweisbar. Es gibt spezialisierte Blutzellen, die so genannten Makrophagen, die sich mit Heißhunger auf die Bakterientrümmer stürzen und sich an ihnen gütlich tun. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
    »Wäre ja auch zu leicht gewesen.«
    »Wie bitte?«
    Yeremi schüttelte enttäuscht den Kopf. »Nein, das ist schon alles. Ich danke Ihnen für Ihr sofortiges Kommen, Doktor Singh.«
    Der Arzt schenkte ihr ein vollendetes Lächeln. »Nun, ganz fertig sind wir noch nicht, Mrs Bellman. Da wäre noch eine Kleinigkeit. Sie beläuft sich auf exakt fünfhundert Dollar.«
     
     
    Traurig betrachtete Yeremi ihr Lieblings-Schlaf-T-Shirt. Snoopy hatte seine Unschuld verloren. Er war kein freundlicher kleiner Vierbeiner mehr, der mit Pilotenkappe auf dem Kopf, auf seiner Hundehütte sitzend, die zivile Luftfahrt bereicherte. Das eingetrocknete Blut auf seinem vormals weißen Fell entlarvte ihn als hündische Reinkarnation des Roten Barons. Seufzend steckte Yeremi das T-Shirt zu den anderen verschmutzten Wäschestücken in den Plastikbeutel der Hotelreinigung.
    Saraf Argyr saß im Nebenraum kerzengerade auf dem Sofa und starrte in den Fernsehapparat. Er kannte zwar bereits tragbare Computer, aber die flimmernden Bilder aus dem Äther übten eine weit stärkere Faszination auf ihn aus. Es hatte Yeremi einige Mühe gekostet, ihm die Funktionsweise des Fernsehers in einfachen Worten zu erklären, hielt er diese Erfindung doch zunächst für eine Art Zauberkiste zur Einschrumpfung von Lebewesen, Häusern, Sänften, Schiffen und vielem mehr.
    Vor wenigen Minuten war Yeremi selbst von dem Programm wie hypnotisiert gewesen. Das guyanische Staatsfernsehen hatte in einer Nachrichtensendung von der Rückkehr ihrer Expedition berichtet. In der Empfangshalle des Flughafens waren sie von einem Reporterteam abgefangen und interviewt worden. Das Massensterben im Garten Gottes schlug in den Medien immer noch hohe Wellen. Während des ganzen Berichts befürchtete Yeremi, der Kameramann könnte das Teleobjektiv auch auf das Flugfeld, die aussteigenden Passagiere und insbesondere auf Saraf Argyr gerichtet haben. Das ganze Land würde den Waldmann sehen und sich, unbenebelt vom Silbernen Sinn, fragen, wer dieser bärtige Athlet sei. Aber alles ging gut. Saraf blieb unsichtbar.
    Er hatte nach der Verabschiedung des Arztes die Knöpfe der Fernbedienung erkundet, die Lautstärke des Fernsehers angehoben und einen neuen Sender entdeckt. Yeremi hörte unvermittelt ein wildes Gekreische. Um das Gerät leiser zu stellen, rutschte sie von dem auf einem Podest thronenden Bett und schlurfte auf Socken ins Wohnzimmer. Die Suite war der Kajüte von Kapitän Walter Raleigh nachempfunden, der im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert El Dorado suchte und auf diese Weise nach Guayana kam. Mit einem großen Messingkompass, Seekarten und einer kompletten Bibliothek appellierte das Apartment an das Fernweh der Gäste. Saraf, dessen Vorfahren einst die Ozeane überquert hatten, schien sich in dem nautischen Ambiente wohl zu fühlen.
    Als Yeremis Blick auf den Fernseher fiel, erstarrte sie. Auf der Mattscheibe

Weitere Kostenlose Bücher