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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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allein von Yeremis Ziehmutter, in meist zeitlicher Nähe zu den Ahs und Ohs gemustert wurde. Als die Erzählerin zu Ende gekommen war, entstand eine längere Pause; nur Augen tauschten über den Tisch hinweg aus, wozu Zungen nicht den Mut fanden. Fredrika lächelte Saraf zu. Er lächelte zurück. Molly nutzte den Moment der Ablenkung, um erneut an Yeremi vorbeizuspähen. Carl räusperte sich.
    »Was du da vorhast, Jerry, kann dich in Teufels Küche bringen.«
    »Ach?«
    »Ich meine das sehr ernst.«
    »Ich auch, Opa Carl. Wir haben einem illegalen Einwanderer geholfen. Na schön. Seine Papiere sind nicht ganz vorschriftsmäßig. Aber Saraf ist es auch nicht. Er hätte tot sein sollen, wenn es nach den Leuten ginge, die das Silberne Volk infiziert haben. Ich betrachte meine Tat als einen Akt der Notwehr. Und alles Übrige lässt sich regeln. Ich werde ihm einen Job geben und ihn für unentbehrlich erklären. Dann zahlt er Steuern, und alle sind zufrieden.«
    »Ich weiß nicht, ob du dir die Sache nicht zu einfach machst…«
    Yeremi schnappte nach Luft. »Du kennst Gott und die Welt, Opa Carl: Wirtschaftsbosse, Generäle, Bischöfe, Senatoren und Kongressabgeordnete. Deine Kontakte reichen bis ins Weiße Haus. Erzähle mir bitte nicht, diese Angelegenheit würde dich überfordern.«
    »Ruhig Blut, junge Dame! Ich will dir ja deinen Silbermann nicht wegnehmen. Aber du solltest mich kennen. Wenn ich meinen Einfluss geltend mache, dann muss es dem Recht dienen. Vorteilsnahme und Intrigen sind mir zuwider. Deshalb verrate mir eins, Jerry: Warum willst du Saraf wirklich helfen?«
    »Ich verstehe die Frage nicht.«
    »Im Buch Kohelet heißt es: ›Wer nur Silber liebt, wird mit Silber nicht gesättigt werden, noch jemand, der Reichtum liebt, mit Einkünften. Auch das ist Nichtigkeit.‹ An Geld mangelt es dir nicht, aber der Reichtum, dem du verfallen könntest, heißt Ansehen und Bewunderung, wissenschaftliche Reputation. Sprich: Geht es dir nur darum?«
    Erschrocken blickte Yeremi in die Runde, als erhoffe sie sich von dort Widerspruch. Aber alle sahen sie nur erwartungsvoll an, selbst Saraf, der doch nichts verstand. »Dieser Mann da«, sie zeigte auf den Hüter, »hat mir gesagt, ich sei die Einzige der ganzen Expedition, die in den Dschungel kam, um etwas dort zu lassen. Alle anderen hätten sich nur bereichern wollen.« Sie schüttelte empört den Kopf.
    Carl betrachtete finster den Silbermann. »Stimmt das?«, fragte er ihn.
    Yeremi musste den Sachverhalt erst in Spanisch erklären, aber dann nickte Saraf. »So habe ich gesprochen. Was dein Kindeskind für sich sucht, kann weder mit Geld noch mit Ruhm aufgewogen werden. Ich frage mich nur, warum Yeremis Familie es ihr noch nicht gegeben hat.«
    Der harte Ausdruck in Carls Gesicht verschwand. Nun entdeckte Yeremi dort Unsicherheit und… Angst?
    Wieder trat ein längeres Schweigen ein, bis die Jüngste am Tisch schließlich das Wort ergriff.
    »Kann ich dich unter vier Augen sprechen, Opa Carl?«
    Dessen zottige Brauen hoben sich. »Was gibt es, das wir nicht in dieser Runde bereden könnten?«
    Yeremi erwiderte seinen strengen Blick. »Das genau möchte ich von dir wissen.«
     
     
    Der alte Mann und seine Enkelin wanderten durch den Garten von Bellman’s Paradise, wie sie es schon sehr oft getan hatten, und doch war es an diesem sonnigen Dezembermittag so, als täten sie es zum allerersten Mal. Carls Füße hinterließen kleine Krater im Kiesweg. Er war zwar nur geringfügig kleiner und mit seinem kleinen Bauch ungefähr genauso schwer wie Yeremi, aber sie bewegte sich deutlich geschmeidiger als er, vor allem an diesem Tag. Wie ein trotziges Kind stapfte er neben ihr her, die graublauen Augen fest auf den Weg gerichtet. Die frische Brise hatte sein volles graues Haar zerzaust.
    Nach etlichen Minuten des Schweigens stieß er einen tiefen Seufzer aus. »Also du willst wissen, warum es dir so vorkommt, als würde ich etwas fürchten, als wäre ich zornig auf dich… Ich weiß nicht, woher du diese Eingebung hast, aber es stimmt. Dein Gespür sagt dir, meine ablehnende Haltung gegen deine Neuerwerbung sei nicht normal, nicht allein durch Gottesfurcht zu erklären…«
    »Saraf ist ein Mensch, Opa Carl, keine Sache, die man sich anschafft und wieder wegwirft, wenn man ihrer überdrüssig geworden ist!«
    »Schon gut, Jerry. Entschuldige. Deine plötzliche Fürsorge für einen anderen Menschen ist nur ein wenig… verwirrend für mich. Wie auch immer, ich werde dir

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