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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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jetzt etwas erzählen, das nicht einmal dein Vater gewusst hat. Auch Nils habe ich diese Bürde erspart.«
    Plötzlich empfand Yeremi die frische Luft als unangenehm kühl Sie schlang die Arme um den Körper, wagte aber nicht, stehen zu bleiben. »Was für ein dunkles Geheimnis kann einen besonnenen Mann wie dich so in Erregung versetzen?«
    »Du sagst, es sei ›dunkel‹, und wie Recht du hast, Jerry!« Carls Gesicht spiegelte die düsteren Erinnerungen wider, die gerade in ihm hochstiegen. Nach einem langen Moment der Besinnung begann er wieder leise zu sprechen.
    »Dein Urgroßvater ist nicht Heinrich Bellman…«
    »Was sagst du da!? Aber…«
    »Lass mich bitte ausreden, Jerry. Ich weiß nicht, ob ich ein zweites Mal die Kraft dazu finde.«
    Yeremi war wie versteinert stehen geblieben, aber Carl zog ihre Hand durch seine Armbeuge und setzte sich mit ihr wieder in Bewegung. So musste er seiner Enkelin wenigstens nicht in die Augen sehen, während er vor ihr jenes Kapitel der Familiengeschichte aufschlug, das er so lange unter Verschluss gehalten hatte. Was sie da von ihm zu hören bekam, erschien ihr anfangs zu bizarr, um es glauben zu können. Aber seine Stimme wurde bald fester, und es drängte ihn nun sogar, ihr von der Schmach zu erzählen, die »wie ein Fluch auf den Bellmans« lag: Genau so drückte er sich aus.
    Es habe alles mit einer verhängnisvollen Liaison zwischen Urgroßmutter Rose und einem »halbseidenen Trickkünstler« begonnen, der sich dem Okkultismus verschrieben hatte, erzählte Carl. Seine Mutter habe als Rose Presi im italienischen Pistoza das Licht der Welt erblickt und sei Zirkusreiterin gewesen, als ihr neuer Chef und baldiger Liebhaber sie »entdeckte«. Mit seiner Gunst habe er ihr auch einen neuen Künstlernamen geschenkt. Genau genommen war es ein Pseudonym aus zweiter Hand, denn schon seine letzte Assistentin, die ihm davongelaufen war, hieß Martha Farra. Jerrys Urgroßmutter Rose wurde in der Welt des Varietes als die »Eisenkönigin« bekannt, weil sie eiserne Ketten zu zerbeißen pflegte – eine der zahllosen Betrügereien, die sie von ihrem »Kunstfreund« gelernt hatte.
    »Aber wo ist da der Zusammenhang zu meiner Guyana-Expedition? Wieso hast du dich so sehr gegen diese Reise gesträubt?«, unterbrach Yeremi den befremdlichen Monolog dann doch. »Und warum bringt dich diese Tingeltangelgeschichte so gegen Saraf Argyr auf?«
    Finster starrte Carl vor sich hin und stampfte einen Fuß vor den anderen in den Kies. »Weil dein Urgroßvater Erik Jan Hanussen war.«
    Yeremi schluckte. Erst vor wenigen Wochen hatte sie bei ihren Recherchen von dem österreichisch-tschechischen Hellseher gelesen, der sich mit telepathischen Fähigkeiten zu brüsten pflegte. »Bei allem Verständnis für deinen Abscheu gegen Geisterbeschwörer, Opa Carl, aber mir ist die Literatur über Hanussen bekannt. Sie äußert sich sehr skeptisch über seine angebliche Begabung.«
    Carls verbitterte Miene ließ erkennen, wie wenig ihn dieses Argument beeindruckte. »Hanussen hat zu jeder Zeit Bewunderer gehabt, die an ihn glaubten, aber dadurch lässt sich meine Meinung über diesen Scharlatan nicht aufpolieren. Selbst wenn Hermann Steinschneider – so sein bürgerlicher Name – nie einen Geist beschworen und sein ganzes spiritistisches Gehabe nur Maskerade war, verdient er trotzdem meine tiefste Verachtung. Dieser so genannte Hellseher ist durch Betrügereien groß geworden. Er war hinter jedem Rock her, so manches Familienglück hat er zerstört und unzählige Frauen unglücklich gemacht. Er paktierte mit den Nationalsozialisten, und vermutlich hat er durch perfide Manipulationen 1933 sogar den Reichstagsbrand verursacht. Aber wofür ich ihn besonders verachte, das ist die herzlose, ja, schändliche Art und Weise, mit der er deine Urgroßmutter plötzlich fallen ließ: Er hat sie fast umgebracht, und während sie mit dem Tode rang, machte er sich klammheimlich aus dem Staub.«
    »Wie das?«, fragt Yeremi atemlos.
    Offenkundig kostete es ihren Großvater viel Überwindung, das Kapitel zum Abschluss zu bringen. »Rose hatte sich 1923 in New York von Hanussen getrennt, nachdem es bei einer Vorstellung zu einem Unglück gekommen war. Er hatte sie in einen hypnotischen Schlaf versetzt und einen Elefanten irrtümlich so ferngelenkt, dass der ihr auf die Brust trampelte. Die Eisenkönigin trug zu diesem Zeitpunkt Hanussens Kind unter dem Herzen, aber davon wusste er nichts. Das Gerücht verbreitete sich, Martha

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