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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Molly um. »Nun… Ich bin mir nicht sicher, ob Leary alles weiß. Er hat so Andeutungen gemacht… Besser, wir gehen kein Risiko ein. Du solltest das Haus vorerst nicht mehr verlassen, Saraf, und bitte halte die Läden in deinen Zimmern geschlossen.«
    Er nickte lächelnd. »Ich bin es gewohnt, den Tag in einer Höhle zu verbringen.«
    »Oh!« Mollys Sopran hallte durch den Raum.
    »Entschuldige, ehrenwerte Lehrerin, das war nicht abwertend gemeint.«
    Sie kicherte wie ein Schulmädchen. »Schon gut, Saraf. So habe ich es auch nicht aufgefasst.«
    »Ihr scheint mich nicht ernst zu nehmen«, beschwerte sich Yeremi. »Wenn die Öffentlichkeit von unserem neuen Untermieter Wind bekommt, dann haben wir die längste Zeit ungestört nach den Mördern seines Volkes gesucht.«
    Sarafs Augen leuchteten selbst im Zwielicht noch wie zwei blaue Saphire. Sie waren direkt auf Yeremi gerichtet. »Ich vertraue deinen Gefühlen, Jerry. Sollte Al Leary wissen, wen du hier versteckt hältst, heißt das noch lange nicht, dass es ihm auch nützt. Schließlich bist du meine Meisterin. Ich habe dich nicht ohne Grund erwählt.«
    »Das tröstet mich ungemein!«
    »Was genau hat Al Leary denn gesagt?«
    Yeremi wiederholte das kurze Telefonat fast wortwörtlich.
    Saraf nickte verstehend. »Er scheint mehr über den Fühlsinn zu wissen, als ich bisher glaubte.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Zunächst hat er freundliche, einschmeichelnde Worte benutzt und sich auf eure alte Freundschaft berufen…«
    »Und dann hat er mir gedroht – zumindest kam es mir so vor.«
    »Verführung und Kommando«, bescheinigte Saraf, »ein altes und immer wieder wirksames Rezept, um Menschen gefügig zu machen.«
    »Ich lasse mich von Al zu nichts verführen!«, fauchte Yeremi.
    Saraf überhörte die gereizte Bemerkung. »Kinder lernen schon früh, den mal freundlichen, dann wieder strengen Worten ihrer Eltern zu folgen. Mit dem Erwachsensein geht dieses anerzogene Verhalten nicht verloren. Es ist keine Schande, im Seegang von Schmeichelei und Strenge die Kontrolle über sein Seelenschiff zu verlieren.«
    Yeremi schien durch Saraf hindurchzublicken, während sie im Geist noch einmal das Gespräch mit Leary Revue passieren ließ. Hatte der Psychologe sie tatsächlich manipulieren wollen?
    »Was hast du gefühlt?«, fragte der Silbermann unverwandt.
    »Ich hatte Angst.«
    »Das ist gut.«
    »Wie bitte?«
    »Du darfst den Silbernen Sinn – das Einfühlungsvermögen oder die Empathie, wie du ihn nennst – nicht allein als Waffe begreifen, Jerry, er ist vor allem ein starkes Mittel zur Verteidigung. Nette Worte können deinen Schutzwall zum Einsturz bringen, aber die Furcht ist ein starkes Gefühl, das dich zu warnen vermag. Wenn du dich zur Ruhe zwingst, deinen Verstand schärfst und die Angst auf einen Punkt verdichtest, dann kann sie dich nicht überfluten, und der Fühlsinn wird dich in die Sicherheit führen.«
    »Aber ich habe meine Gefühle abgekühlt, wie du mir geraten hast – mehr oder weniger jedenfalls.«
    »Das ist gut. Du machst Fortschritte.«
    Sie verstand nicht wirklich, was er damit meinte. »Ich wünschte nur, mir wäre klar, was Al mit dem Anruf bezweckte.«
    Saraf lächelte ihr aufmunternd zu. »Das wird sich zeigen, Jerry. Geduld und Gelassenheit sollen in solchen Fällen wahre Wunder wirken. Früher oder später bringt der Fühlsinn die Wahrheit immer ans Licht.«
     
     
    Im gelben Licht der Schreibtischlampe betrachtete Yeremi nachdenklich das vor ihr liegende Diagramm. Es hatte nicht mehr auf den alten Zettel gepasst. Jetzt lagen die beiden Blätter nebeneinander, und das neue war schon übersät mit Wörtern und Buchstaben, Kreisen und Pfeilen. Am linken Rand stand ihr eigenes Initial, darüber, nach rechts versetzt, das ihres Vaters, dann schlossen sich die Kreise von Großvater Carl und Urgroßmutter Rose an. Und im Mittelpunkt prangte ein dicker Kringel mit dem Kürzel EJH für Erik Jan Hanussen. Andere Namen und Begriffe waren im Verlaufe der vielen Stunden hinzugekommen, die Yeremi nun schon über den Akten ihres Urgroßvaters brütete. Wichtige Überlegungen hatte sie überdies in ihrem mobilen Computer notiert, sodass allmählich ein elektronisches Dossier entstanden war; darin spielte ihr angeblich telepathisch begabter Ahnherr eine zentrale Rolle. Je mehr Energie sie auf das Strukturieren ihrer Gedanken verwandte, desto weniger beunruhigte sie Learys Anruf.

    Sie musste alles daransetzen, die eigene Rolle in diesem

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