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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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empathischen Rätselspiel zu entschlüsseln. Verfügte sie über eine – möglicherweise angeborene – Eigenschaft, die sie für Sarafs Silbernen Sinn besonders empfänglich machte? Um den ging es McFarell, Flatstone und Leary schließlich. Trieb diese Männer tatsächlich nur das hehre Streben nach höherer Erkenntnis zum Wohle der Menschheit an? Oder steckte mehr dahinter: das Begehren von Profit, Ansehen oder…? Yeremi schüttelte den Kopf. Sie durfte jetzt nicht hysterisch werden, sondern musste ihren Verstand gebrauchen. Nur wenn sie systematisch die Fäden suchte, aufnahm und weiterverfolgte, würde sie das mysteriöse Sterben des Silbernen Volkes aufklären können.
    Also: Es ging um empathische Telepathie. Hanussen hatte sich selbst als einen Gedankenleser bezeichnet, womit er nicht nur das gewöhnliche Muskellesen meinte, also das Deuten so genannter ideomotorischer Bewegungen, die bei den meisten Menschen unwillkürlich infolge geistiger Prozesse auftreten. Bereits im Jahr 1920 publizierte er ein Werk mit dem bezeichnenden Titel Das Gedankenlesen – Telepathie, in dem er sich über die Möglichkeit echter Gedankenübertragung ausbreitete. Kurz: Hanussen hielt sich für fähig, ebendiese zu beherrschen.
    Selbstverständlich löste er damit kontroverse Diskussionen aus. Die einen vergötterten, die anderen verteufelten ihn. Beim Überfliegen der vielen Zettel und Schnipsel stieß Yeremi unvermittelt auf zwei Zeitungsartikel der Bosnischen Post aus dem Jahr 1918, die ihrer bis dahin eher planlosen Suche eine Richtung geben sollten. Der erste Beitrag stammte vom 24. Juni und behandelte einen »Hanussen-Abend in Travnik«. Besagter Herr sei »gegenwärtig auf Einladung der Polizeidirektion für Bosnien-Hercegovina auf kriminalpolizeilichem Gebiete tätig«, meldete das Blatt. Ähnliche Hinweise hatte Yeremi schon zuvor gefunden. Dann jedoch las sie den zweiten, einige Wochen später verfassten Artikel:
    Das Militär hatte sich für Hanussens »Fähigkeiten« interessiert!
    Gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurde er sogar zum Kompanieführer eines »Rutenkommandos der österreichischen Armee« zur besonderen Verfügung des IV. Armeekorps in Bosnien, Landeskommando Sarajevo, berufen. Den Rang hatte man eigens für ihn erfunden. Er ließ sich eine Fantasieuniform mit silbernem Kragen schneidern, auf der eine Wünschelrute prunkte. In dieser »fantastischen Aufmachung«, wie er selbst über sich schrieb, brachte er zahlreichen österreichischen Soldaten das Wünschelrutengehen bei.
    So bizarr diese Einzelheiten einem naturwissenschaftlich gebildeten Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts auch erscheinen mochten, verrieten sie doch das anhaltende Interesse der Staatsgewalt an der Stärkung ihrer Macht, selbst wenn die Mittel höchst zweifelhaft waren. Die schwarz auf weiß dokumentierte Verknüpfung von Telepathie und militärischen Zielen und die übrigen Informationsschnipsel verdichteten sich für Yeremi allmählich zu einem höchst aufschlussreichen Bild.
    Hanussen beschrieb unverblümt einige Tricks der Illusionisten. Er sei immer daran interessiert gewesen, seine Experimente wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Seit dem 16. Mai 1930 habe er hierzu mit Professor Christoph Schröder und dessen Institut für metaphysische Forschungen in Berlin-Lichterfelde-Ost zusammengearbeitet. Die Untersuchungen waren weit gefächert, erstreckten sich von der Telepathie über Hellseherei bis hin zum Gebrauch bewusstseinserweiternder Drogen, wie das aus dem mexikanischen Peyotl-Kaktus gewonnene Meskalin oder ein Halluzinogen, das Hanussen als »Telepathin« bezeichnete und offenbar aus einer südamerikanischen Liane namens Yage gewonnen wurde.
    Yeremis über die Computertastatur huschende Finger erstarrten plötzlich. Telepathin! Sie wechselte zu ihrem Diagramm und widmete dem Begriff ein neues Kästchen. Pharmakologisch gesehen war er nicht ganz korrekt. Dennoch hatte Leary ihn mehrmals erwähnt. Ob er Hanussens »Experimente« kannte?
    Eine Weile dachte sie über diese Frage nach, konnte ihre Bedeutung aber nicht recht einordnen. Schließlich stellte sie den Namen der ominösen Substanz auf dem Bildschirm rot und fett dar, dann kehrte sie zu den Unterlagen ihres Urgroßvaters zurück.
    Über Professor Christoph Schröder hieß es da, er sei auch in die »Fänge der Medusa« geraten. Yeremi malte ein »Medusa«-Kästchen in ihr Schaubild. Aber erst etliche Minuten später konnte sie das Geheimnis dieses neuen Namens

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