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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Methode, um Kritik von ihren löcherigen Theorien abzuwenden. Was Yeremi jedoch anwiderte, war die Hybris, mit der Hanussen sich gleichsam zu einem Gott erhob. Deshalb verspürte sie wenig Lust, ihre Zeit mit den selbstherrlichen Ergüssen dieses Menschen zu verschwenden.
    Es war Sonntag. Sie hatte McFarell versprochen, am Montagnachmittag einem Meeting in der Fakultät beizuwohnen. Am Abend wollte sie sich mit ihrer »Urgroßcousine« Sandra treffen. Die Woche in Berkeley würde anstrengend werden. Yeremi blickte zur Tür, die auf den Flur hinausführte. Saraf saß mit Molly im Salon und stopfte krümelige Kekse sowie englische Sprachbrocken in sich hinein. Sie könnte den beiden Gesellschaft leisten…
    Mitten in diesen verlockenden Gedanken platzte ein synthetisches Flöten. Yeremi zögerte. Der anonyme Anruf von Mittwochnacht steckte ihr noch in den Knochen. Diesmal wurde im Display jedoch eine Nummer angezeigt. Vorsichtig griff sie zum Telefon.
    »Hallo?«
    »Jerry, bist du das?«
    Learys Stimme! Wie eine Rakete fuhr Yeremi aus ihrem Schreibtischstuhl hoch. Vor Schreck wäre ihr fast das Telefon aus der Hand gerutscht. Sie spürte, wie ihr Puls zu rasen begann. »Was willst du?«
    »Hören, wie es dir geht? Das bin ich dir schuldig – um der alten Freundschaft willen.«
    Sie schnappte nach Luft, zügelte dann aber ihren aufwallenden Zorn. »Wir sind schon lange keine Freunde mehr, Al.«
    »Aber Kollegen. Die Expedition war strapaziös, selbst für eine Powerfrau wie dich. Ich hoffe, du hast aus Guyana nichts eingeschleppt.«
    Yeremi erstarrte zu einem Eisblock. Hatte Al diese Worte nur zufällig gewählt, oder wusste er von Sarafs illegaler Einreise? Sie schloss die Augen und glaubte, ihn am anderen Ende der Leitung grinsen zu sehen. Aber das war absurd! Mühsam zwang sie sich zu ruhigerem Atmen.
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst, Al.«
    »Du weißt genau, an was ich denke. Diese hässliche Infektion muss dir einen Mordsschrecken eingejagt haben. Schließlich ist das ganze Silberne Volk daran zu Grunde gegangen. Ist doch so, oder?«
    Worauf will der Kerl hinaus? Schon wieder so eine zweideutige Frage! Yeremis Mund war so trocken wie das sandige Versteck einer afrikanischen Hornviper. Jetzt zeigte sie ihre Giftzähne. »Hör mir gut zu, Al Leary«, zischte sie. »Mir geht es hervorragend, alle Krankheitssymptome sind abgeklungen, die Erholung in Georgetown hat mich neu motiviert, und ab morgen bin ich wieder auf dem Campus. Ich kann also gut auf deine Fürsorge verzichten! Und jetzt nimm bitte einen dicken schwarzen Filzstift in die Hand.«
    »Wozu?«
    »Um meine Nummer aus deinem Adressbuch zu streichen.«
    »Leg noch nicht auf, Jerry!«, sagte Leary schnell, als ahne er bereits, was sie vorhatte. »Hör mir zu! Wenn du in Schwierigkeiten bist und Hilfe brauchst, dann ruf mich an.«
    Yeremi drückte die Unterbrechungstaste und warf das Telefon auf die Ladeschale. »Der Letzte, dessen Rat ich suchen werde, bist du!«, fauchte sie.
    Danach setzten nagende Zweifel ein.
    Konnte Al etwas von Saraf wissen? Sie hatte das Äußere ihres Schützlings radikal verändert und sich mit ihm fast nie bei Tageslicht ins Freie begeben. Zufällig konnte Leary ihr kaum auf die Schliche gekommen sein. Aber was, wenn er ihr nachspionierte?
    Yeremi wirbelte herum und stürmte aus dem Raum. Ein furchtbarer Verdacht trieb sie in Richtung Wohnzimmer. Sie traute Leary sogar die Bespitzelung des Strandhauses zu. Ohne anzuklopfen, stürmte sie in das lichte Arrangement aus rötlicher amerikanischer Kirsche, cremefarbenem Leder und kostbaren Accessoires. Molly rekelte sich auf dem Sofa. Saraf knabberte im Sessel an Keksen und Redewendungen. Beide sahen Yeremi erschrocken an.
    Sie huschte wie ein Schatten zum ersten Fenster, riss es auf, zog die Fensterläden zu und öffnete die verstellbaren Lamellen gerade weit genug, um etwas Tageslicht, aber keine neugierigen Blicke hereinzulassen. Dann nahm sie das nächste Fenster in Angriff.
    »Was hast du, Liebes?«, fragte ihre Adoptivmutter besorgt.
    »Ein schlechtes Gefühl.«
    »Sie hat große Angst«, bestätigte Saraf.
    »Du, misch dich da nicht ein!«, befahl Yeremi.
    »Aber was ist denn los?«, beharrte Molly.
    »Al Leary hat gerade angerufen. Er weiß, dass Saraf Argyr hier ist.«
    »Und warum versteckst du mich dann noch?«, fragte der Silbermann.
    Yeremi verharrte in ihrer Tätigkeit, als hätte jemand einen Knopf gedrückt. Verstört drehte sie sich zu Saraf und

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