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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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erbliche Prädisposition für die empathische Telepathie, dann durfte man auch unter seinen Nachfahren mit derlei Talenten rechnen. Der Stammbaum führte über Carl und seinen Sohn Lars zu Yeremi Rose Bellman…
    Ein Schauer lief ihr über den Rücken. War sie nur zufällig mit der Leitung der Guyana-Expedition betraut worden, oder gehörte das alles zu einem großen, geheimen, unfassbaren Plan?
    Wieder stiegen aus ihrem Gedächtnis die von Saraf in ihrem Zelt gesprochenen Worte auf: Wenn hier jemand nach den Gefühlen des anderen geforscht hat, dann bist du das gewesen. Natürlich hatte sie diese absurde Behauptung sofort verworfen. Doch Saraf hatte auf seine geheimnisvolle Weise geantwortet: Aber ich weiß, was ich fühle. Mit einem Laut des Unwillens drehte sie ihren Stuhl herum. Yeremi wollte das Diagramm nicht mehr sehen.
    Einige heftige Atemzüge später wurde ihr die Dummheit dieser Vogel-Strauß-Politik bewusst. Es gab nur einen Weg, ihr Leben in den Griff zu bekommen: Sie musste endlich Licht in die dunklen Winkel ihrer Familiengeschichte bringen, selbst wenn die Verstrickung des eigenen Schicksals mit dem Sarafs Gefahr bedeutete.
    Noch gab es einige Unbekannte in ihrer komplexen Lebensgleichung. Handelte es sich bei Doktor W. Baecker und dem Mann, der Urgroßmutter Rose in den Siebzigern besucht hatte, um ein und dieselbe Person? Waren darüber hinaus Sam Iceberg und S. Arthur Moltridge identisch? Und wer hatte die Leute in den gelben Bioschutzanzügen geschickt? Yeremi holte tief Luft. Mit Carls und Sandras Hilfe würde sie dieses wuchernde Dickicht immer neuer Rätsel durchdringen.
    Langsam drehte sie ihren Stuhl wieder zum Schreibtisch zurück. Ihr Blick wanderte über das Metadiagramm. Nach einer Weile bohrte sich ihr Bleistift in die Initialen Al Learys. War der Psychologe nur ein ahnungsloser Erfüllungsgehilfe Flatstones, oder könnte er einige dieser Unbekannten aus der geheimnisvollen Gleichung auflösen? Immerhin hatte er ihr seine Unterstützung angeboten.
    Ärgerlich schüttelte Yeremi den Kopf. Sie war noch nicht verzweifelt genug, um Al um Hilfe zu bitten.

 
    DIE KINDER DES SILBERNEN VOLKES
     
     
     
    Pacific Grove (Kalifornien, USA)
    27. Dezember 2005
    3.18 Uhr
     
    Stöhnend hob sie den Kopf aus dem Kissen. Er fühlte sich an, als hätte sie den gesamten Nachlass Hanussens dort eingelagert: prall gefüllt und kurz vor dem Bersten. Was war das für ein Laut gewesen?
    Wieder hörte sie das Geräusch. Es kam von oben. Aus Sarafs Schlafzimmer? Vielleicht konnte er genauso schlecht schlafen wie sie. Yeremi ließ den schweren Kopf wieder sinken.
    Einige lange Minuten vergingen. An Schlaf war nicht zu denken. Yeremi lauschte. Da! Sie hörte dumpfe Stimmen. Oder vielmehr eine, die mal ruhig sprach, dann wieder aufgeregte Worte hervorstieß. Vielleicht hatte Saraf einen Albtraum.
    Yeremi machte sich Sorgen, fühlte sich schuldig. Sie hatte den Silbermann aus dem Dschungel entführt, ihm einen Kulturschock versetzt. Kein Wunder, wenn er jetzt durchdrehte! Schwerfällig hievte sie die Beine aus dem Bett, schlüpfte blind in die Hausschuhe und machte sich im Schlafanzug auf den Weg in den ersten Stock.
    Die Stimme erfüllte das ganze Haus. Yeremi schnaubte ungläubig angesichts des unerschütterlich tiefen Schlafes der anderen Bewohner. Wäre Molly eine Grizzlydame gewesen, hätte ihr Verhalten ja noch in die Jahreszeit gepasst. Für eine verantwortungsvolle Gastgeberin bewies sie allerdings erschreckend wenig Feinfühligkeit.
    Yeremi durchquerte die Diele und lief in das Obergeschoss. Der Lärm wurde immer lauter. Zaghaft klopfte sie an Sarafs Tür und lauschte erneut. Auf der anderen Seite des Flurs ertönte ein penetrantes Sägen – Carls ebenso geräuschvollen wie unverwüstlichen Nachtschlaf hatte sie schon als kleines Mädchen bewundert.
    Kurze angstvolle Schreie drangen durch die Tür. War das die Antwort auf ihr Klopfen? Sie drehte den Knauf und trat in Sarafs Suite. Neben der Tür stand ein Sideboard mit einer Tischlampe. Yeremi schaltete sie ein, um sich nicht im Dunkeln die Beine zu brechen. Schnell eilte sie weiter, der herzerweichenden Stimme entgegen. Das Schlafzimmer befand sich nebenan.
    Die Tür war nur angelehnt. Als Yeremi behutsam dagegen drückte, fiel ein schwacher Lichtschein in den Raum; ihr eigener Schatten war schon beim Silbermann. Sie selbst folgte weniger entschlossen.
    Saraf lag mit entblößtem Oberkörper im Bett. Seine schweißnasse Brust glänzte. Er stöhnte, als

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