Der silberne Sinn
einschlugen. Eines traf Funken sprühend die Feuerschutztür, bevor diese geräuschvoll ins Schloss krachte. Er riss die beiden Müllsäcke aus ihrer Halterung, umfasste einen mit der rechten, den anderen mit der linken Hand und rannte die Treppe hinauf.
»Yeremi, kannst du mich hören?«, rief er ins Mikrofon der Freisprecheinrichtung.
Diese war eingeschaltet, der Ohrstöpsel hing da, wo er hingehörte, aber keine Antwort kam. Saraf lief weiter. Als er das Erdgeschoss erreichte, vernahm er einen unangenehmen, brenzligen Geruch. In der Nähe sah er Yeremis Putzmobil in der offenen Tür eines Zimmers stehen. Von ihr selbst fehlte jedoch jede Spur.
So schnell er konnte, lief Saraf zu den Glastüren, die hinaus auf die Straße führten. Dabei bemerkte er blaue, blinkende Lichter. Sie waren oben auf Autos montiert, die sich schnell näherten. Die Campuspolizei! Mit quietschenden Reifen kamen die ersten beiden Streifenwagen vor dem Museumsbau zum Stehen.
»Yeremi!«, schrie Saraf. »Sie müssen mich auf ihren Monitoren entdeckt haben. Ich stecke in der Falle!«
Aus dem Ohrhörer drang nur leises Rauschen.
Nachdem Yeremi sich ihres Overalls entledigt hatte, verließ sie das Büro im Erdgeschoss des Kunstmuseums und eilte mit großen Schritten auf die Straße hinaus. Am liebsten wäre sie einfach losgerannt, aber das hätte Verdacht erregen können. Sie lief die College Avenue hinauf, überquerte den Bancroft Way und hatte damit schon das Südende der Kroeber Hall erreicht. In einigen Fenstern brannte noch Licht. Auch im Büro des Dekans. Yeremi zwang sich zur Ruhe. Es war äußerst unwahrscheinlich, ausgerechnet jetzt Professor McFarell über den Weg zu laufen.
Sie konzentrierte sich auf Sarafs gleichmäßigen Atem im Ohrhörer ihrer Freisprecheinrichtung. Ein weiterer Blick auf die farbige Flüssigkeitskristallanzeige verriet nichts Neues – er stand immer noch im toten Winkel und wartete. Yeremi lief zwischen Springbrunnen und Hearst Museum hindurch. Letzteres bildete den südlichen Abschluss des Komplexes, in dem die Anthropologische Fakultät untergebracht war. Ohne einer einzigen Menschenseele zu begegnen, erreichte sie den Eingang an der nordöstlichen Flanke des L-förmigen Baus.
Auch in ihrem Innern war die Kroeber Hall wie leer gefegt. Auf dem Weg in ihr Büro sah Yeremi einmal die Gestalt eines beleibten Mannes über den Flur huschen, ansonsten begegnete sie niemandem. Endlich hatte sie ihr Ziel erreicht.
Es gab Assistenzprofessoren, die ihre winzigen »Denkkisten« mit Kollegen teilen mussten, Yeremi dagegen hatte ein Zimmer ganz für sich allein. Als »Lieblingsfamula« des Dekans genoss man gewisse Privilegien, ohne darum bitten zu müssen. Sie schaltete ihren PC ein, zog den Klipp ihres Handys vom Gürtel und legte es in ihren Schoß. Während der Computer das Betriebssystem lud, warf sie einen Blick auf den Miniaturbildschirm des Telefons – und erschrak. Das Bild auf dem Zwergmonitor zeigte nicht mehr die Feuerschutztür am Ende des langen Flures, sondern zitterte hektisch hin und her. Yeremi erkannte Sarafs Hände, die den Aluminiumcontainer packten, der die Quipus barg, ihn über den Boden zerrten, ausschütteten und wieder zurückschoben. Anschließend flogen zehn Finger dem Putzkarren entgegen, der in einem Nebenraum wartete, und schleppten ihn auf den Gang hinaus.
»Ich kann alles sehen«, raunte Yeremi ins Mikrofon. »Mach weiter! Ich bin gleich bei dir.«
Saraf durfte sich nicht verraten und schwieg daher. Das Booten des PC war inzwischen abgeschlossen. Yeremi atmete tief ein und aus, damit ihre Hände nicht zitterten. Jetzt durfte sie keinen Fehler machen. Saraf brauchte ihre Hilfe. Dringend! Sie rief das E-Mail-Programm auf, in dem sich Wilfried Kugels letzte Nachricht befand, und drückte in dem Bildschirmfenster die Schaltfläche »Weiterleiten«. Die Anzeige veränderte sich. Eine Sekunde lang dachte sie nach. Eine DVD mit ihren codierten Aufzeichnungen und den aus diversen Datenbanken zusammengetragenen Rechercheergebnissen zu brennen dauerte zu lange. Sie würde einfach alle persönlichen Dateien zur elektronischen Post des Deutschen hinzufügen und an ihre eigene private E-Mail-Adresse schicken. Später konnte sie dann die Daten in aller Seelenruhe aus dem Internet auf ihr Notebook herunterladen.
In wenigen Sekunden hatte sie ihre Dokumente in einem anderen Fenster mit der Maus markiert und in eine Archivdatei zusammengepackt. Diese klickte sie an, zog sie über die Mail
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