Der silberne Sinn
große, die ihrem Arbeitsanzug bereits vor Jahren entwachsen zu sein schien, und eine sehr schlanke, schmale, deren »Robe« noch über beträchtliche Reserven verfügte. Beide trugen Kappen mit aufgestickten Wischmoppfrauen.
»Wie lange werden sie schlafen?«, fragte die hagere Gestalt.
»Das weiß man nie«, antwortete der Hüne.
»Und das soll ein Plan sein?«
»Ich habe ihn mir nicht ausgedacht.«
Yeremi zog ein Handy unter ihrem Overall hervor und drückte eine Kurzwahltaste. Darauf kicherte Saraf.
»Was ist?«, fragte sie.
»Der vibrierende Knochen kitzelt mich.« Auch er griff unter seinen Anzug und holte ebenfalls ein Handy hervor. Es war mit einer kleinen Kamera ausgestattet, die ungefähr alle zwei Sekunden ein Bild an Yeremis Mobiltelefon schickte, wo es kurze Zeit später auf der farbigen Anzeige erschien.
»Es könnte fatal werden, wenn dein Handy im falschen Augenblick piept. Stell den Vibrationsalarm auf keinen Fall ab.«
»Ich weiß gar nicht, wie das geht.«
»Umso besser. Über die Telefone bleiben wir miteinander in Kontakt, und was immer du mir zeigen willst, kann ich auf dem Minidisplay sehen.«
Saraf nickte und steckte sich die Stöpsel der Freisprecheinrichtung in die Ohren. Jetzt sah er aus wie Meister Proper mit Walkman. Yeremi folgte seinem Beispiel. Sie steuerten gerade auf den Eingang zu. Ungefähr in diesem Moment mussten sie in den Sichtbereich der Kameras kommen, die außen wie auch innen beinahe jeden Winkel des Gebäudes abdeckten. Aber eben nur beinahe. Yeremi hatte im letzten Jahr an einem regnerischen Dezembertag ihren Schirm im Keller des Kunstmuseums stehen lassen, sich aber nachher nicht mehr erinnern können, wo genau er ihr abhanden gekommen war. Als sie kurz darauf beim Sicherheitsdienst vorbeischaute, um ein Problem in Verbindung mit einer Nachtarbeitserlaubnis abzuklären, fiel ihr der Schirm wieder ein. Sie bat den Verantwortlichen des Kontrollraums, die Kamerabilder aus dem Museumskeller auf den Monitor zu rufen. Dabei entdeckte sie einen Fleck auf dem Fußboden: Der Schirm selbst stand in einem toten Winkel und war demzufolge nicht zu sehen, sehr wohl aber die Spuren der inzwischen getrockneten Pfütze, die er hinterlassen hatte. Jetzt, mehr als zwölf Monate später, hing alles von diesem »blinden Fleck« der Überwachungskamera ab. Hoffentlich war der Fehler inzwischen nicht korrigiert worden.
Der Komplex des U. C. Berkeley Art Museum glich aus der Luft dem Profil eines Männerkopfes mit eher kurzer, aber struppiger Frisur, dessen Augen ungefähr nach Süden blickten. Yeremi führte Saraf gewissermaßen mitten ins »Gesicht« des eigenwilligen Baus, hinab in den Keller zu der Kammer mit den Reinigungsgeräten. Unterwegs begegneten sie einer Mitarbeiterin des Museums, in deren Gefühlen der Silbermann den Akkord der Ungeduld anschlug. Ohne auch nur einen einzigen Blick auf die beiden »Raumpfleger« zu werfen, drängte die Frau hastig nach draußen, um endlich bei ihrem kleinen Sohn zu sein und ihn auf den zweiten Jahreswechsel seines Lebens vorzubereiten.
Kurze Zeit später verließ das putzmuntere Paar den Materialraum wieder. Jeder schob einen Wagen vor sich her. In den fahrbaren Aluminiumrahmen hingen jeweils zwei große Müllsäcke, die zum Abtransport der Knotenschnüre dienen sollten. Allerlei Reinigungsutensilien rundeten das harmlose Aussehen der beiden Fahrzeuge ab.
»Ich lasse dich beim toten Winkel zurück. Die Posten mit den Quipus werden auf dem Weg zum Bunker direkt an dir vorbeikommen«, flüsterte Yeremi – alles Worte, die Saraf schon längst im Schlaf hersagen konnte.
»Wenn ich allein die zwei Putzwagen mit den Azofa über die Straße zu unserem Auto schiebe, dann wird das auffallen«, mahnte er, übrigens auch nicht zum ersten Mal.
»Ich komme so schnell wie möglich wieder zurück und reinige dann die Büros im Erdgeschoss, bis du mir über das Handy Bescheid gibst. Wenn Probleme auftauchen, meldest du es mir ebenfalls. Alles klar?«
»Ja, Meisterin.«
»Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Augenblick, um Scherze zu machen, Mr Silverman.« Yeremis Puls kam allmählich auf Touren.
Sie beendeten ihr Gespräch, da sie nun in den unterirdischen Gang einbogen, der zum Bunker führte. Ihre Blicke waren starr auf den Boden gerichtet, für die Überwachungskameras würden ihre Gesichter verdeckt bleiben. Die Tür zu dem Raum, der zur Untersuchung der Quipus diente, stand offen. Davor ragte ein schwarzer Wachmann auf und starrte
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