Der silberne Sinn
verschlüsselten Dateien, wählte und bestätigte die Löschfunktion. Jetzt musste sie nur noch die Sicherungskopie im elektronischen Papierkorb entfernen. Kurzerhand wählte sie die Funktion »Alles löschen«. McFarells schwere Schritte hallten durch den Flur.
»Jerry, was soll denn das? Sie können doch später…«
»Komme schon!« Yeremi bestätigte die Sicherheitsabfrage, und alle Dateien waren unwiderruflich entfernt. Natürlich wusste sie, dass gewiefte Computerspezialisten immer noch an die Bits und Bytes herankommen konnten, aber dazu musste man gezielt suchen und einen begründeten Verdacht haben.
Sie lief zur Tür zurück und stieß unter dem Sturz beinahe mit dem Professor zusammen.
»Fast könnte man glauben, Sie wollten etwas vor mir verbergen«, murrte er.
Yeremi klimperte vor seiner Nase mit den Autoschlüsseln und schaltete mit der anderen Hand das Licht aus. »Ich will nur nicht zu Fuß nach Hause gehen. Können wir?«
McFarell warf einen argwöhnischen Blick in den Raum. »Ich werde später jemanden schicken, der Ihren Rechner ausschaltet.«
Auf dem Weg ins Büro des Dekans musste Yeremi über die Leistungsfähigkeit moderner Handys dozieren. Es fiel ihr schwer, überhaupt einen Satz herauszubringen. Saraf war vermutlich längst auf dem Weg zum Lieferwagen. Was immer er mit Leary und den Sicherheitsleuten angestellt hatte – es würde nicht ewig währen.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte McFarell und deutete auf seine Ledersessel.
»Ich stehe lieber.«
»Setzen Sie sich!«, wiederholte er streng.
Yeremi ließ sich widerwillig auf einer Lehne des nächstgelegenen Sessels nieder.
Nachdem auch der schwere Körper des Professors eine bequeme Sitzposition gefunden hatte, blickten seine Gletschereisaugen Yeremi nachdenklich an. »Sie bereiten mir Kopfschmerzen«, eröffnete McFarell schließlich das Gespräch.
»Warum das?«, erwiderte Yeremi und klang dabei glaubhaft verwundert.
»Möglicherweise sind Sie nicht ehrlich zu mir.«
»Wer hat das gesagt? Etwa Al? Dieser…«
»Ich denke, mir ist die Problematik Ihrer Beziehung zu Doktor Leary durchaus bewusst, Jerry. Aber ich habe sie nicht zu mir gebeten, um irgendwelche Schuldfragen zu diskutieren. Mich interessiert etwas ganz anders: Halten Sie es für möglich, dass es einen Überlebenden des Massensterbens in den Wassarai Mountains gegeben hat?«
Die Frage traf Yeremi wie ein Keulenschlag. Mit offenem Mund starrte sie den Professor an.
»Darf ich Ihre Reaktion als ein Ja deuten?«, fragte McFarell nach einer Weile.
»Nichts dürfen Sie«, widersprach Yeremi ärgerlich. »Wie kommen Sie überhaupt auf diese Idee? Die Seuche kennt keine Sympathie oder Antipathie. Percey Lytton sagte…«
»Mich interessiert nicht, was Ihr Expeditionsarzt behauptet. Ich will wissen, was Sie denken, Jerry. Immerhin gibt es Resistenzen. Außerdem wurde mir berichtet, der Anführer des Silbernen Volkes sei mehrere Tage lang mit Antibiotika behandelt worden. Das könnte ihn vor der mörderischen Bakterieninfektion gerettet haben.«
Yeremi saß in der Klemme. McFarell war ein alter Fuchs. Er ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen. Wie konnte sie diesen Raum verlassen, ohne seinen Verdacht zu erregen? Ihr Kopf war wie leer gefegt.
Das Telefon auf McFarells Schreibtisch klingelte. Einmal. Zweimal. Der Professor machte ein griesgrämiges Gesicht, erhob sich dann aber doch. Yeremi atmete leise auf. Wenigstens eine Verschnaufpause. Was konnte sie sagen, um ihn zu vertrösten? Sie drehte sich zum Schreibtisch um und erschrak.
McFarells Augen waren starr auf sie gerichtet, während er mehrmals nickte oder knappe Antworten gab. »Kommen Sie umgehend in mein Büro«, war der längste und letzte Satz, den er sprach. Dann legte er den Hörer auf und kehrte zu Yeremi zurück.
Weil er keine Anstalten machte, wieder seinen alten Platz einzunehmen, erhob auch sie sich von ihrer Sessellehne.
»Was gibt’s?«, fragte sie.
»Ein Feuer.«
»Was?… Wo?«
»Gleich nebenan, im Berkeley Art Museum.«
Yeremi schauderte. »Ist es… Müssen wir evakuiert werden?«
»Der Brand selbst ist nicht das Problem. Er ist im Trakt des Pacific Film Archive ausgebrochen, mitten auf dem Steinfußboden im Foyer. Die Campuspolizei hat ihn mit Feuerlöschern unter Kontrolle bringen können, bevor überhaupt die Sprinkleranlage angesprungen ist.«
»Was… Warum sind Sie dann so… verzweifelt!«
McFarells Augenbrauen hoben sich. »Finden Sie, dass ich verzweifelt
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