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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Ihnen.«
    »Nun machen Sie schon, damit ich endlich Hilfe holen kann!«, drängte der Pilot aus dem Cockpit.
    »Was wollen Sie?« Lindsay lachte bitter auf. »Dazu müssten Sie an der Otter vorbei, und das würde ich an Ihrer Stelle lieber bleiben lassen. Sobald Sie die Nase Ihrer Maschine in die Feuerhölle da hinten stecken, wird man sie Ihnen abschießen.«
    Als das Sperrfeuer losging, ließen sich die meisten der Angegriffenen sofort zu Boden fallen. Ken Frielander befand sich gerade unter der Tragfläche der zweimotorigen Regierungsmaschine. Er zog den Kopf ein und sah sich nach seinem Kollegen Greg um. Der Fotograf lief, die schwere Tasche mit seiner Ausrüstung über der Schulter, die beiden Canons um den Hals gehängt, dicht hinter ihm – dieser Verrückte schoss während des Angriffs sogar noch Bilder! Ob der San Francisco Examiner sie jemals würde drucken können? Frielander hätte in diesem Moment keinen Cent darauf verwettet. Hilfe suchend blickte er sich um.
    Von der guyanischen Polizei und ihrem Lastwagen fehlte jede Spur. Der rote Traktor umkreiste das Flugzeug. Die Männer auf seinem Anhänger bewegten sich merkwürdig hölzern. Aus glasigen Augen blickten sie mitleidlos wie Wölfe auf eine umzingelte Herde verängstigter Schafe und feuerten planlos in der Gegend herum. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Unzählige Geschosse trafen den silbernen Leib der Otter, Reifen platzten, Scheiben zersplitterten. Drei oder vier Bewaffnete waren gleich zu Beginn des Angriffs abgesprungen und verscheuchten Leute aus dem Dorf. Dabei wirkten die Kämpfer wie Zombies.
    Mit der Abgeklärtheit eines erfahrenen Journalisten analysierte Frielander das Geschehen. Nicht von dem Fuhrwerk kam die tödliche Gefahr, sondern – er suchte und fand das von Bob Browns Kameraobjektiv anvisierte Ziel – von den Uniformierten, die katzengleich von dem gelben Truck sprangen, um sich nun den in die Enge getriebenen Menschen beim Flugzeug zu nähern.
    Für einen Augenblick hoffte Frielander, bei den Bewaffneten könnte es sich um die ersehnten Retter handeln. Gleich Elitesoldaten bewegten sie sich in einer gestaffelten Formation: Jeder Kämpfer hatte von seiner Position aus ein freies Schussfeld, konnte den Verband zugleich aber zur Seite oder nach hinten absichern. Es waren keine Marines, und auch das Militär von Guyana trug andere Uniformen.
    Während Frielander noch wie gebannt auf das mit breiten weißen Strichen bemalte Gesicht des dunkelhäutigen Truppführers starrte – etwas daran war sonderbar, aber was? –, wurde die Frage nach Freund oder Feind auf brutalstmögliche Weise beantwortet. Auf ein geheimes Kommando hin eröffnete die ganze Formation das Feuer.
    In Frielanders linkem Handgelenk schien eine Bombe zu explodieren, und fast gleichzeitig spürte er etwas höher im Arm einen dumpfen Schmerz. Er wurde herumgerissen, seine Armbanduhr segelte auf grotesk langsame Weise davon, und er fiel bäuchlings in den Matsch. Er blutete aus zwei Wunden am Arm. Jede Bewegung der Hand verursachte heftige Schmerzen. Vom Boden aus verfolgte Frielander das generalstabsmäßige Vorrücken der Angreifer. Vor der Maschine teilte sich die Formation in zwei Flügel, die nach beiden Seiten ausschwärmten, und einen aus drei Männern bestehenden Stoßtrupp, der Ryans Gruppe frontal angriff. Ein Gedankenblitz zuckte durch Frielanders Hirn, die Erinnerung an das Gespräch mit einem ehemaligen Elitekämpfer der Green Berets, der angeblich zur Sicherheitstruppe von Jonestown gehörte. War es tatsächlich möglich, dass der Mann eine so perfekt harmonierende Kampfeinheit ausgebildet hatte?
    Frielander drehte den Kopf zum Flugzeug hin. Unter dem Heck stand Bob Brown in geduckter Haltung und filmte immer noch. Seit dem Beginn des Angriffs waren erst wenige Sekunden vergangen. Plötzlich wurde der NBC-Kameramann von einem Schuss ins Bein getroffen. Die Gewalt des Treffers warf ihn in den Schmutz. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fasste er sich an den Oberschenkel. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor.
    Plötzlich legte sich eine schwere Hand auf Frielanders Schulter. Er zuckte zusammen.
    »Bleiben Sie wie tot liegen«, hörte er die Stimme von Don Harris sagen. Schon lief der NBC-Korrespondent mit gesenktem Oberkörper weiter, direkt unter die Otter.
    Frielander hörte eine Explosion, aber sein eingeschränkter Gesichtskreis verriet ihm nichts über ihren Ursprung. Stattdessen sah er, wie Don Harris und Leo Ryan fast gleichzeitig getroffen

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