Der silberne Sinn
schreckliche Szenario von Jonestown existierte eine minutiös ausgearbeitete militärische Planung…«
»Die Medien lassen sich nicht gerne instrumentalisieren, Professor Bellman«, rief ein stoppelhaariger Mann aus der zweiten Reihe dazwischen. »Haben Sie nicht mehr für uns als einen Haufen Verdächtigungen und eine Hand voll zweifelhafter Zeugenaussagen?«
»Ich hoffe doch sehr, Sie bezeichnen die Augenzeugenberichte nicht allein deshalb als zweifelhaft, weil sie nicht Ihren Erwartungen entsprechen«, konterte Yeremi, rief sich dann jedoch schnell zur Ordnung. Sie musste die Presse für sich gewinnen, anstatt sie gegen sich aufzubringen. Mit einem Lächeln fuhr sie fort: »Sie werden anschließend Unterlagen ausgehändigt bekommen, aus denen Sie die bereits erwähnten und weitere Berichte von Zeugen entnehmen können. Dazu gehören auch die Ergebnisse der Untersuchung des guyanischen Gerichtsmediziners Doktor Leslie Mootoo. Ihm wurden für seine Ermittlungen nur wenige Stunden eingeräumt, aber selbst die von ihm gewonnenen Erkenntnisse fanden keinen Eingang in den offiziellen Untersuchungsbericht des FBI. Was fand Doktor Mootoo heraus?
Er untersuchte im Beisein der Green Berets am Ort des Geschehens ungefähr zweihundert Leichen. Viele der Toten hatten Schaum auf den Lippen und geronnenes Blut an den Nasen. Mindestens siebzig Tote zeigten Spuren einer Injektion, was ihn zu der Hochrechnung veranlasste, an die siebenhundert Menschen in Jonestown seien ermordet worden. Die Einstiche befanden sich an Stellen des Körpers, wo sie sich die Opfer nicht hatten selbst zufügen können, etwa zwischen den Schulterblättern. Entgegen der offiziellen Darstellung des FBI wurden außerdem zahlreiche Opfer mit Schussverletzungen gefunden. Der bereits erwähnte Charles Huff, der mit sechs weiteren Green Berets zu den ersten amerikanischen Einheiten am Ort des Geschehens gehörte, sagte später aus – ich zitiere –: ›Wir sahen viele Wunden von Projektilen und von Armbrustbolzen.‹ Zitat Ende.
Vermutlich nehmen Sie jetzt an, die Behörden hätten angesichts einer solchen Entdeckung verstärkte Anstrengungen unternommen, um die Todesursachen der Opfer zu klären. Genau das Gegenteil war der Fall. Es gab nur sieben Autopsien, und selbst diese wurden erst in den Vereinigten Staaten von einem Medizinerteam durchgeführt, nachdem die Körper bereits einbalsamiert worden waren. Keine einzige Blut- oder Urinprobe der Toten war auf Gift untersucht worden.
Die Frage lautet also nicht: Warum brachten sich so viele Anhänger des Volkstempels selbst um? Sondern: Wer ermordete die vielen, die sich dem Freitod verweigert hatten? Und warum mussten sie sterben?«
Die Unruhe im Saal nahm zu. Kameras klickten. Obwohl Dutzende von Tonaufzeichnungsgeräten eingeschaltet waren, hörte man doch unablässig das Rascheln von Notizblöcken, auf denen jungfräuliche Seiten herbeigeblättert wurden. Während Yeremi sich eine rhetorische Pause gönnte und einen Schluck Wasser nahm, ließ sie ihren Blick durch das Zwielicht des Raumes schweifen. Sie suchte Leary, und als sie ihn fand, schrak sie zusammen. Dicht beim Ausgang stand an der Wand, neben dem Psychologen, Professor McFarell. Plante Leary etwa schon eine neue Niederträchtigkeit, um sie in den Augen ihres Dekans gänzlich zu verunglimpfen?
»Auf dieses Warum«, fuhr Yeremi fort, während sie sich nur schwer vom Anblick der beiden Männer bei der Tür lösen konnte, »möchte ich nun eingehen.« Sie räusperte sich erneut. »In mehr als einem Vierteljahrhundert hat es zahlreiche Versuche gegeben, die Hintergründe des Jonestown-Massakers aufzudecken. Hier ist eine Erklärung, die Ihnen vielleicht nicht gefallen wird.« Yeremi gab einen kurzen Abriss über die unter dem Namen MK-Ultra vom CIA betriebenen Gedankenkontrollprogramme, nannte die unglaubliche Zahl von eintausendfünfhundert illegalen Unterprojekten, von denen kaum mehr als eine Hand voll öffentlich gemacht worden waren, und ließ ihren Monolog schließlich in der Frage gipfeln: »War Jonestown ein riesiges Freiluftlabor, in dem Jim Jones für den CIA die Manipulation menschlicher Gedanken und Verhaltensweisen erprobte?«
»MK-Ultra wird immer herangezogen, wenn eine Schweinerei passiert ist«, rief jemand dazwischen.
»Das stimmt«, erwiderte Yeremi. »Vergessen wir jedoch nicht die zweite Tragödie, die sich am 18. November 1978 nur etwa acht Meilen vom Jonestown-Zentrum entfernt auf dem Flugplatz von Port Kaituma zutrug.
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