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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Hier wurden Congressman Leo J. Ryan und vier weitere Personen getötet.« Yeremi fasste auch dieses Geschehen für die Reporter zusammen, wobei sie die von Frielander erwähnte Diamantformation besonders hervorhob. »Als Ryan nach Guyana aufbrach, sollen dem amerikanischen Außenministerium mindestens neunhundert Dokumente vorgelegen haben, von denen schon eines ausgereicht hätte, den Congressman vor den extremen Gefahren seiner Reise zu warnen. Warum bekam er kein einziges dieser Papiere zu sehen? Die offizielle Erklärung lautet, sie seien ›verloren gegangen‹.«
    Wieder ging ein Raunen durch den Saal.
    »Wollte man Leo Ryan mit Absicht in ein offenes Messer laufen lassen? Nebenbei bemerkt: Kurz vor seiner Ermordung wäre er in Jonestown fast mit einem Messer getötet worden. Der Congressman war bekanntermaßen kein Freund des CIA. Wegen der vielen Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze durch den Auslandsgeheimdienst, die Mitte der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts bekannt geworden waren, stand er mit seiner Haltung keineswegs allein auf weiter Flur. Gemeinsam mit seinem Kollegen Harold Hughes und Senator Frank Church prangerte er die zweifelhaften CIA-Methoden immer wieder an: die Komplotte gegen ausländische Staatsführer, das Schüren von Bandenkriegen und auch die geheimen Experimente zur Manipulation menschlicher Sinneswahrnehmung sowie zur Gedankenkontrolle und Gehirnwäsche, wie sie an Gefängnisinsassen und Studenten durchgeführt worden waren – oft ohne deren Wissen. Schließlich konnte der Congressman den ›Hughes-Ryan Act‹ durchsetzen, der dem CIA bei verdeckten Auslandsoperationen die vorherige Informierung des Senats abverlangte. Damit schaffte sich Ryan noch mehr Feinde beim Geheimdienst. Von einigen wurde er als Vaterlandsverräter beschimpft, als ein Mann, der die nationale Sicherheit gefährde. Hatten bestimmte Personen gefürchtet, er könne in Jonestown etwas aufdecken, das der von ihm mit so viel Leidenschaft erstrittenen ›Meldepflicht‹ zuwiderlief? Was könnte so brisant gewesen sein, um den Mord an einem Mitglied des amerikanischen Kongresses zu rechtfertigen?«
    Wieder gab Yeremi den Reportern die Gelegenheit, das Gehörte zu verdauen. Sie wusste, wie wenige harte Fakten sie zu bieten hatte. Nur wenn die Dramaturgie stimmte, konnte sie ihr Ziel erreichen.
    »Wir könnten die Frage vielleicht zweifelsfrei beantworten, wenn jenes Phantom, das wohl für Jim Jones zum Todesengel wurde, heute hier unter uns weilte. Sein Adjutant dagegen war, nach derzeitigem Kenntnisstand, ein US-Bürger afroamerikanischer Herkunft namens Eugene Smith. Mehrere Zeugen haben ihn als den eigentlichen Todesschützen bei der Ermordung von Leo Ryan identifiziert, darunter Ihr angesehener Kollege Ken Frielander von der Los Angeles Times. Ich bin überzeugt, auch Senatorin Jacqueline Tailor könnte Frielanders Beobachtungen bestätigen – als Ryans Assistentin und Rechtsberaterin befand sie sich bei dessen Exekution in unmittelbarer Nähe. Leider konnte ich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Stellungnahme der Senatorin erhalten.«
    »Was ist aus den anderen Killern geworden?«, rief jemand dazwischen.
    »Zu Ihren Fragen komme ich gleich. Doch diese Antwort vielleicht vorweg: Die Männer von dem Tieflader wurden in Jonestown erschossen aufgefunden. Ob Eugene Smith, der vor allem durch seine völlige Haarlosigkeit auffällt, sie tötete oder derselbe Mann, der Jim Jones erschoss, kann ich nicht sagen.«
    »Wo ist die Verbindung zum Silbernen Volk?«, fragte eine Reporterin. Die Journalisten waren mittlerweile kaum noch zu bändigen.
    »Darauf wollte ich jetzt zu sprechen kommen.« Das Eis, auf dem Yeremi sich bewegte, wurde nun dünner. Sie berichtete von Ed Edmundsons Ermittlungen, ohne ihn oder seine Informanten jedoch namentlich zu nennen. Die Unruhe nahm zu, als sie die Ergebnisse ihrer eigenen Blutprobe präsentierte. Jefferson Flatstone sei als Chef von Stheno Industries zumindest indirekt für das jüngste Massensterben in Guyana verantwortlich. Ihn rundweg als das »Phantom von Jonestown« zu titulieren, wagte sie denn doch nicht.
    »Flatstone wird Sie wegen Rufschädigung ins Gefängnis werfen lassen und Ihnen außerdem eine Millionenklage an den Hals hängen«, rief jemand, den Yeremi nicht sehen konnte.
    »Wir sind immer noch ein Land, in dem die freie Meinungsäußerung eines der höchsten Güter ist«, verteidigte sich Yeremi. Der Zeitpunkt war gekommen, aufs Ganze zu gehen.

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