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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Wenn du nur hungrig genug bist, würdest du vermutlich sogar einen Skorpion verspeisen. Ist der Hunger erst gestillt, machst du voller Abscheu einen großen Bogen um seine Artgenossen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist unfassbar! Unsere Mächtigen manipulieren Menschen nur um eines zeitweiligen Vorteils willen.
    Es scheint sie kaum zu belasten, wen sie sich als Verbündete wählen. Ja, sie säen selbst dann noch Krieg, wenn eines Tages die eigenen Kinder als Soldaten sterben werden.«
    »Das ist wohl wahr! Der Mensch verfügt als Krone der Schöpfung über so viele wunderbare Gaben – aber leider mangelt es ihm seit jeher an Weitsicht.«
    »Wenn nur die Folgen nicht immer katastrophaler würden! Denke nur daran, wie die Nazis sich der Dienste meines Urgroßvaters bedient haben: Hanussen suggerierte dem Holländer Marinus van der Lubbe eine Tat, die ihre Macht festigte und damit letztlich eine Voraussetzung für den schlimmsten Krieg der Menschheitsgeschichte schuf. Flatstone scheint nicht einmal zu stören, wie unberechenbar seine ›emotionelle Waffe‹ ist.«
    »Menschen wie er haben kein Gewissen, Jerry. Sie denken nur an den eigenen Vorteil. Wenn sie erst über eine Waffe verfügen, dann setzen sie diese früher oder später auch ein, die Folgen können noch so entsetzlich sein. Manchen erscheint selbst der eigene Tod noch als Gewinn. Solange sich daran nichts ändert, muss das Gedächtnis des Silbernen Volkes verborgen bleiben. Gäbe es diesen Schatz nicht, hätten sie mich vermutlich schon lange getötet.«
    »Das ist mir heute auch klar geworden. Vermutlich kennen Sie sogar den Inhalt unseres Gespräches, als du mir von Fürst Rocas Vermächtnis erzählt hast. Am liebsten würde ich Al Leary vierteilen für das, was er uns angetan hat.« Yeremi fand auf dem Felsen einen Stein, den sie packen und – stellvertretend für den Psychologen – in den Fluss werfen konnte.
    Saraf blickte sie eine Weile nachdenklich an, bevor er sich zu der Frage überwand: »Warum ist dein Herz so voller Hass gegen diesen Mann?«
    Ihre Augen richteten sich auf die gurgelnde Strömung des Coyote Creek. »Willst du etwa abstreiten, dass er ein Scheusal ist?«
    Der Silbermann lehnte sich auf dem Felsen ein Stück nach hinten und berührte Yeremis Hand. Diesmal zuckte sie nicht wie unter einem Stromstoß zurück, sondern umschloss seine Finger fest.
    »Immer wenn du von Al Leary sprichst, toben in dir heftige Gefühle«, erklärte Saraf den Grund seiner Frage. »Sie sind so laut, dass ich sie gar nicht überhören kann. Ich…«
    »Schon gut«, unterbrach Yeremi ihn leise. »Ich mache dir keine Vorwürfe wegen dem, was dein Silberner Sinn dir verrät.« Einige Sekunden lang blickte sie in die vom Mondlicht glitzernde Strömung. Dann begann sie leise auszusprechen, was sie jahrelang in ihrem Innern eingeschlossen hatte.
    »Ich habe Al Leary einmal sehr gemocht. Er ist älter als ich. Ich bewunderte ihn wegen seiner Reife, seiner Erfahrung. Als Marineflieger hatte er bei UN-Einsätzen sein Leben aufs Spiel gesetzt. Dann verließ er die Armee und begann in Berkeley Psychologie zu studieren. Dort lernten wir uns auch kennen…«
    »Und lieben.«
    Yeremi nickte. »Auch das. Aber es war eine scheue Liebe, die ich für ihn empfand. Meine Seele war wund, zu empfindsam, ich fürchtete, verletzt zu werden. Eines Abends begleitete er mich nach dem Kino nach Hause. Ich ließ mich überreden, ihm noch einen Kaffee zu kochen. Dann…« Sie schluckte.
    »Als Mann kann man wohl nur schwer nachempfinden, was du durchgemacht hast.«
    Sie sah ihn verdutzt an.
    Saraf nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie auf den Mund. »Ich kann mir denken, was geschehen ist, Jerry. Du brauchst nicht weiter darüber zu reden, wenn es zu schmerzlich für dich ist.«
    »Doch«, beharrte sie. »Jetzt habe ich damit angefangen und bringe es auch zu Ende. Es gibt auch nicht mehr viel darüber zu erzählen. Al und ich saßen nebeneinander auf dem Sofa. Dann fing er an, mich zu streicheln. Anfangs gefiel mir seine Zärtlichkeit, und ich erwiderte sie sogar. Bald küssten wir uns. Aber plötzlich schlug die romantische Stimmung um. Er wurde immer stürmischer, und mit einem Mal wollte ich seinem Tempo nicht mehr folgen. Ich bat ihn aufzuhören, flehte ihn an zu gehen, aber er hörte nicht auf mich. Al war wie berauscht. Er hat… hat mich einfach genommen. Gegen meinen Willen. Ich… ich konnte nichts dagegen tun.« Tränen rannen über Yeremis Wangen. Noch einmal

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