Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
Hausgiebeln zu sehen war, verfinsterte sich. Dystariel glitt auf ihren breiten Fledermausschwingen zu ihnen hinab. Sie hielt Nikk in den Klauen, den sie unsanft auf die Füße stellte. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht, Thadäus«, grollte sie. »Wo wart ihr so plötzlich?«
In diesem Moment entdeckte sie Tandarin. Bevor es einer von ihnen verhindern konnte, rammte die Gargyle den alten Elfen gegen die Hauswand und fuhr die Krallen aus. »Elender!«, röhrte sie. »Für deine Tücke in Rüstringen werde ich dich von oben bis unten aufschlitzen!«
»Bei allen Wogen, was macht der Kerl hier?« Nikk zückte sein Jagdmesser.
»Gemach, Freunde. Gemach!« Eulertin brachte Dystariel dazu, Tandarin loszulassen. Der Puppenmacher sank stöhnend zu Boden und Eulertin wiederholte seinen Bericht.
»Trotzdem«, rasselte die Unheimliche. »Nur eine falsche Bewegung, und ich erlöse das Spitzohr von seinem Leid. Und zwar endgültig.«
»Wer wird denn so nachtragend sein?«, ächzte Tandarin.
»Hört auf!«, fuhr der Däumling dazwischen. »Lasst uns lieber im Zunfthaus nach dem Rechten sehen!«
»Wie steht es um deine Kräfte?«, wollte Dystariel von Eulertin wissen.
»Die stehen sozusagen auf Halbmast«, erwiderte er unglücklich. »Ich würde dich daher um den Vortritt bitten.« Die Gargyle fletschte die Reißzähne, löste sich von Tandarin und taxierte mit ihren gelben Raubtieraugen die Turmerker des Zunfthauses. Dann wandte sie sich der hohen Tür des Gebäudes zu.
Tandarin, der nur mühsam wieder auf die Beine kam, hob seinen Narrenstab und wob ein magisches Muster in die Luft. »Ich sorge dafür, dass uns niemand hört«, ächzte er.
Schon warf Dystariel ihren steinernen Leib gegen den Eingang. Die Tür splitterte und die Gargyle stampfte in eine Eingangshalle mit gekacheltem Boden, auf dem Wolken und pausbäckige Windgeister abgebildet waren. Fi entdeckte hinter Dystariel das Zifferblatt einer unheimlichen Standuhr. Außerdem standen einige Korbstühle herum. Die Gargyle schob beiläufig das Modell einer Kogge zur Seite, das an einer Kette von der Hallendecke baumelte, und beäugte misstrauisch drei ausgestopfte Tierköpfe mit schläfrig gesenkten Lidern neben einer Tür gegenüber dem Eingang. »Die Luft ist rei…« Bevor sie den Satz beenden konnte, setzte ein lautes Prasseln ein. Aus den Fliesen stoben grelle Flammen, die gierig am Leib der Gargyle emporzüngelten. Jeden anderen hätten sie verbrannt, nicht jedoch Dystariel. Zornig versuchte sie die Flammen auszuschlagen, jedoch ohne Erfolg.
Eulertin und Tandarin murmelten rasch einige Zauberformeln und schlagartig sanken die Flammen wieder in sich zusammen. Gemeinsam folgten sie Dystariel in die Halle und Fi sah, dass rechter Hand eine Wendeltreppe in die oberen Geschosse führte.
»Wohin jetzt?«, fragte der Meermann.
»Zunächst einmal in die Studierstube«, antwortete Eulertin und wies auf die Tür neben den ausgestopften Tierköpfen. »Dystariel, wenn ich dich noch einmal bitten dürfte!«
Die Gargyle brach mit einem wuchtigen Tritt auch dieses Hindernis auf.
Fi spähte in den Raum und entdeckte ganz hinten neben einem gemauerten Kamin eine Eichentür mit schweren Riegeln. Eine einsam brennende Kerze, die mit elf weiteren Kerzen auf einem Rundleuchter unter der Raumdecke befestigt war, verbreitete ein flackerndes Licht. Fi konnte unzählige hohe Bücherstapel sowie Regale mit alchemistischen Flaschen, Tiegeln, Phiolen und Schriftrollen ausmachen. In der Ecke neben der Tür stand ein hölzerner Rahmen, in dem ein Menschenskelett hing. Vorsichtig betrat die kleine Gruppe die Studierstube.
»Wir sind hier nicht allein«, wisperte Magister Eulertin.
»Ja, ich spüre ebenfalls etwas«, flüsterte Tandarin.
Fi löste den Blick von den Knochen einer Seeschlange, die an Fäden neben dem Kronleuchter unter der Decke baumelte, und griff zu ihrem Bogen. Dystariel schnaubte angriffslustig, nur Nikk blieb vorsichtshalber im Türrahmen stehen.
»Ich glaube, ich weiß, wer uns beobachtet.« Magister Eulertin richtete sich auf dem schwebenden Flicken auf und hob seinen Stab. »Quiiiitsss, ich weiß, dass du hier bist! Ich fordere dich auf, dich zu zeigen!«
Nichts geschah.
»Wer soll das sein?«, flüsterte Nikk.
Unvermittelt lief ein Zittern durch die Regale und Bücherstapel. »Geht fort von hier«, heulte eine geisterhafte Stimme. Von allen Seiten flogen ihnen dicke Folianten, Flaschen, Schriftrollen und sogar eine große Lupe entgegen. Fi versuchte noch
Weitere Kostenlose Bücher