Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
auszuweichen, wurde jedoch schmerzhaft von einem schweren Steinmörser an der Schulter getroffen. Selbst Dystariel fauchte überrascht auf, während der geschwächte Puppenmacher unter dem Menschenskelett begraben wurde. Eulertin rief eine Formel und um seinen winzigen Stab legte sich ein fahles Leuchten. Der Schein stob zur Decke über der mit eisernen Bändern verriegelten Tür empor und riss dort ein Wesen aus dem Zwielicht, bei dessen Anblick sich Fis Nackenhaare aufstellten. Ein Gespenst! Die grauenerregende Gestalt besaß einen aufgeblähten Schädel mit tiefschwarzen, weit aufgerissenen Augen, unter dem sich ein viel zu dünner, nebelschwadenartiger Körper mit schlierigen Dunstarmen abzeichnete. »Lasst das!«, wimmerte der Geist und versuchte angestrengt das fahle Licht abzuschütteln. »Ich gehorche bloß meinem Herrn!«
Fi half dem benommenen Tandarin wieder auf die Beine, konnte den Blick aber nicht von dem Gespenst abwenden. »Was ist das?«, rief sie.
»Ein Poltergeist!«, antwortete der Däumling und schwebte näher an den wimmernden Schemen heran. »Er treibt die Bewohner dieses Hauses schon lange in den Wahnsinn. Neu ist, dass er jemandem dient.«
»Was wollt ihr von mir?«, wimmerte der Geist.
»Sag mir, wer dein Herr ist«, verlangte Eulertin zu wissen.
»Das darf ich nicht«, heulte Quiiiitsss und versuchte den Däumling zu erschrecken, indem er eine besonders schauerliche Fratze zog. Der kleine Zauberer zuckte nicht einmal. »Bitte«, jammerte der Schemen. »Lasst mich gehen! Ich gebe euch auch eine Minute Zeit, um das Zunfthaus unbeschadet zu verlassen.«
»Jetzt habe ich aber Angst«, höhnte Dystariel. »Los, Thadäus, mach ihn weg, sonst zerreiße ich diesen Jammerlappen.«
Tandarin rollte mit den Augen. »Das ist bei einem Geist wohl etwas töricht, oder?«
»Finsterkrähe hat dir also verboten, über ihn zu reden?«, fragte Eulertin.
Quiiiitsss verzog gequält das Schlierengesicht. »Jaaaaa«, raunte er.
»Also gibst du zu, dass du dem Hexenmeister dienst«, versicherte sich der Däumling zufrieden.
Der Poltergeist kreischte wie unter Schmerzen auf. »Ihr habt mich reingelegt! Ihr seid ebenso böse wie mein Herr!«
»Ich will dir nichts Böses!«, erwiderte der kleine Magister. »Im Gegenteil: Wir brauchen deine Hilfe!«
»Ich helfe niemandem!«, heulte der Poltergeist und verzog die Lippen zu einem gemeinen Spinnweblächeln. »Der Einzige, dem ich zu Dienst verpflichtet bin, ist der Bewohner dieses Hauses. Doch am Ende überdaure ich sogar ihn!«
»Ja, aber nur als Geist, der auf ewig an dieses Haus gekettet ist.« Fi überwand ihren Abscheu und stieg über die am Boden verstreuten Gegenstände hinweg, bis sie unter dem Däumling stand. »Sag mir nicht, dass eine so jämmerliche Existenz wie deine erstrebenswert ist.«
Der Poltergeist ließ ein unheilvolles Zischen hören.
»Ich würde es nicht ganz so drastisch ausdrücken«, sagte Eulertin, »aber völlig Unrecht hat mein Begleiter nicht. Du darfst also nicht über den Hexenmeister sprechen, gut. Aber könntest du uns nicht auf andere Art einen Hinweis geben, was er hier so getrieben hat?«
»Warum sollte ich?«, raunte der Poltergeist böse.
»Weil ich hier bin, um dich von deinem Herrn zu erlösen.«
»Und dann?« Quiiiitsss gab einen rumpelnden Laut von sich. »Mein Herr hat dunkle Bande gewirkt, die mich fortan an jeden binden, der hier einzieht. Wer gibt mir die Gewissheit, dass der nächste Hausherr nicht noch schlimmer ist?«
»Na gut.« Eulertin seufzte. »In diesem Fall verspreche ich dir, Wege zu finden, um dich von diesem Bann zu befreien. Und nicht nur das: Ich werde sogar versuchen, dich von deinem Geisterdasein zu erlösen.«
Quiiiitsss verzog ungläubig die schwarzen Schlierenaugen.
»Ich verspreche es beim Unendlichen Licht!«, sagte Eulertin feierlich. »Dieses Versprechen gilt aber nur, wenn du uns jetzt hilfst. Uns läuft die Zeit davon.«
Quiiiitsss starrte Eulertin lauernd an. »Meint Ihr das ernst?«
»Du kannst mich beim Wort nehmen.« Eulertin ließ das Licht an seinem Zauberstab erlöschen und wartete.
Der Poltergeist wirkte wie zur Flucht bereit. Doch er blieb. »Ihr habt es versprochen, ja?«, geisterte seine Stimme durch den Raum. Plötzlich zuckten seine Augen nach links unten. Fi sah genauer hin und das Schauspiel wiederholte sich. Alle im Raum folgten dem Blick des Poltergeistes zu einer Regalwand schräg hinter ihnen. Nikk stürmte vor, räumte die verbliebenen Bücher aus und
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