Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
sich ihr von hier aus bot. Sie wurden von Glühwürmchen umschwirrt und kamen an weiteren überwucherten Baumwohnungen mit Laubdächern und rundlichen Türen und Fenstern vorbei. Die Innenräume hatte sich die Natur längst zurückerobert. Auf den mit Humus bedeckten Böden wuchsen Moose, Gräser und Pilze. Schränke und Stühle hatten schon vor langer Zeit Wurzeln geschlagen und wieder andere Einrichtungsgegenstände waren im Laufe der Jahrhunderte zu knotigen Gebilden zusammengewachsen, die nicht mehr erkennen ließen, welchem Zweck sie einst gedient hatten. Und doch lag über allem ein melancholischer Zauber, der es Fi leicht machte, sich vorzustellen, wie es hier einst gewesen war, als die Elfen Jada’Maar noch nicht verlassen hatten. Allmählich wurde ihr auch klar, warum Nikk den Weg durch die Baumkronen gewählt hatte. Durch den Urwald unter ihnen war kaum noch ein Durchkommen.
Schließlich führte der Meermann sie wieder nach unten, von wo aus ihnen ein bezauberndes Klingeln entgegenhallte. Sie erreichten eine Lichtung, über der ein feiner Schleier aus Wassertropfen lag. Die Tröpfchen strichen wie ein samtener Hauch über Fis Gesicht. Es war, als sammle sich irgendwo über ihnen der Tau ganz Jada’Maars, nur um über diesem Ort niederzuregnen. Die Äste am Rand der Lichtung liefen spitz zu und formten ein gewölbtes Blätterdach über ihren Köpfen. Schwach fiel das Licht des Mondes hindurch und brach sich silbrig in den feinen Tropfen.
Fi durchschritt ein von Efeu umschlungenes Portal und entdeckte im Mondschein zwei gewaltige Skulpturen, die aus dicht wucherndem Rankengewirr bestanden. Jede von ihnen war über und über mit blauen Glockenblumen bewachsen. Fi blieb wie vom Donner gerührt stehen. Bei der linken Skulptur handelte es sich um das Abbild eines Einhorns, das sich stolz aufbäumte. Auf ihm saß ein Elf, dessen Kopf von einem königlichen Reif aus zarten weißen Blüten gekrönt wurde, die deutlich aus der übrigen Blütenpracht hervorstachen. Fi erkannte den Dargestellten sofort. Die Skulptur daneben zeigte einen stattlichen Mann mit nacktem Oberkörper und ebenfalls vage elfischen Gesichtszügen, der ebenfalls eine Krone trug. Er besaß einen langen, bis auf die Brust reichenden Bart und hielt einen Dreizack in der Rechten, während sein Unterleib in einer Fischflosse auslief. Ein Meermann!
Verwirrt starrte Fi Nikk an. »Bei dem Reiter handelt es sich um Elfenkönig Avalaion, nicht wahr?«
»Ja, so ist es.« Nikk blickte ehrfurchtsvoll zu dem Reiterstandbild auf. Feinste Wassertröpfchen perlten von seinem langen Haar auf die Brust und er verneigte sich vor den beiden Statuen.
»Stellt die andere Skulptur dann einen König deines Volkes dar?«, fragte Fi.
»Das andere Standbild zeigt meinen Urururgroßvater Poseleion«, erwiderte Nikk feierlich.
Da ertönte wieder das seltsame Klingeln und Fi sah, wie eine der blauen Glockenblüten am Kopf des Elfenreiters sich unter der Last des Niederschlags nach vorn neigte und ihr Wasser ergoss. Kaskadenartig füllten sich Dutzende tiefer liegende Blütenkelche mit Flüssigkeit, die sich ihrerseits neigten und das Reiterstandbild unter den Klängen eines Glockenspiels mit einem rauschenden Sturzbach tränkten. Das viele Wasser versickerte im Waldboden und allmählich richteten sich die vielen Blütenkelche wieder auf.
»Dein Urururgroßvater traf einst auf Elfenkönig Avalaion? Wann war das?«
»Vor sehr langer Zeit.« Nikks Finger spielten nachdenklich mit dem Muschelhorn. »Lange bevor die Schattenkriege die Welt erschütterten, zu einer Zeit, da ein anderer Konflikt unsere Welt bedrohte: die Drachenkriege!«
»Die Drachenkriege?« Fi wischte sich über das feuchte Gesicht und näherte sich den Standbildern. Eine Wasserkaskade umspülte klingend das Standbild des Meerkönigs und versickerte auch dort im Boden. Die Drachenkriege lagen selbst nach elfischen Maßstäben weit zurück. Seither waren etwa fünftausend Jahre vergangen. Soweit Fi wusste, kämpften damals drei gewaltige Urdrachen samt ihrer Gefolgschaft um die Herrschaft der Welt. Ein Ereignis, das an Grausamkeit alles bis dahin Erlebte in den Schatten stellte. Aus dem Krieg der Echsen ging Drachenkönig Pelagor als Gewinner hervor, jener Drache, der seinen Hort auf Albion errichtete und erst viertausend Jahre später von dem Menschenhelden Sigur Drachenherz besiegt werden konnte. Die Lieder ihres Volkes kündeten davon, dass die Feuer speienden Echsen die jüngeren Völker bis dahin
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