Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
abwehrend die Hände, lächelte aber immer noch unverschämt anziehend.
»Außerdem brauche ich jetzt wirklich deine Hilfe«, fuhr Fi schnell fort. »Bis Magister Eulertin uns zu Berchtis’ Spiegel führen will, ist es nicht mehr lange hin. Mir bleibt also nur noch wenig Zeit, geeignetes Holz für einen neuen Bogen aufzutreiben.« Sie wandte sich wieder dem von Efeu umschlungenen Portalbogen zu. »Ich hatte die schwache Hoffnung, hier irgendwo Golderle zu finden. Ihrem Holz liegt ein Zauber inne, der es mir ermöglicht, daraus leichter einen Bogen zu formen. Leider weiß ich nicht, ob diese Bäume hier wachsen.«
Nikk wies auf den Wald. »Es gibt kaum eine Pflanze, die hier nicht wächst. Lass uns doch die Blütenfeen fragen.«
»Du kannst sie herbeirufen?«
»Du kannst es selbst tun, wenn du willst. Ich bringe dir den Ruf gern bei.« Nikk formte mit den Händen eine Muschel vor den Lippen und stieß einen gurrenden Singsang aus, der allerdings so leise war, das nur Fi ihn hören konnte. »Jetzt du.«
Ein wenig erinnerte Fi der Singsang an die Melodie des Zauberliedes, mit dem sie kleinere Tiere herbeilocken und bezähmen konnte. Leider war sie keine sonderlich begabte Zaubersängerin. Dennoch gelang es ihr bereits beim dritten Versuch, die richtige Tonfolge zu treffen. Der Meermann nickte ihr aufmunternd zu und sie versuchte es lauter. Ihr trällernder Ruf hallte weit durch das Gehölz. Fi wartete und vernahm nach einigen Augenblicken tatsächlich irgendwo im Dickicht wieder jenes Schwirren, mit dem sich vorhin schon einmal eine der Blütenfeen angekündigt hatte. Schließlich entdeckte sie das libellenartige Wesen. Im Zickzack jagte es auf sie zu, sauste einmal um Fi herum und blieb summend und mit anmutig angezogenem Beinchen vor ihrem Gesicht in der Luft stehen. Das zierliche Geschöpf blickte Fi geradewegs in die Augen und seine Fühler zitterten neugierig.
Fi lächelte. »Kannst du mich zu einer Golderle führen?«
Die Blütenfee zirpte etwas, dann schoss sie nach links in die Nacht, stoppte ihren Flug unter einem roten Leuchtkürbis und wartete.
»Ich glaube, sie mag dich.« Nikk zwinkerte Fi zu.
Mit einem letzten Blick auf die Rankenstatuen eilten sie hinter der kleinen Fee her. Der Weg führte sie durch das blühende Unterholz, unter gewaltigen Baumwurzeln hindurch und an einem munter sprudelnden Bach entlang. Fi und Nikk verlangsamten ihre Schritte erst, als sich unmittelbar vor ihnen eine Lichtung auftat, in deren Mitte sich ein gewaltiger Baumstumpf mit mächtigem Wurzelwerk erhob. Der Elfenbaum musste vor sehr langer Zeit von einem Sturm geknickt worden sein. Oder war er einem Blitzschlag zum Opfer gefallen? Das zersplitterte untere Ende des Stamms war seltsam verkohlt und ragte am Rande der Lichtung wie eine zerfurchte Felswand auf. Der Rest des Baums war schon vor langer Zeit von Farnen, Büschen und jüngeren Bäumen überwuchert. Ohne Zweifel standen sie hier vor den Zeugnissen eines großen Unglücks, denn der Sturz des Riesenbaums musste eine gewaltige Schneise in die Stadt geschlagen haben.
»Wo sind wir hier?«, fragte Fi.
Nikk atmete schwer. »Ich schätze, wir stehen vor den Überresten des Lebensbaums. Er bildete einst das Zentrum Jada’Maars. Sein Harz besaß heilende Kräfte. Der Baum wurde bereits beim ersten Angriff der Drachen zerstört.«
Fis Augenmerk richtete sich wieder auf den riesigen Baumstumpf, der bei näherer Betrachtung überall Brandnarben aufwies. In der Mitte reckten sich die trichterförmigen Fruchtkappen drei riesiger Röhrenpilze dem Mondlicht entgegen. Jeder von ihnen war fast so hoch wie einer der Masten auf Koggs’ Schiff. Die seltsamen Drillinge ähnelten einander in Wuchs und Form so sehr, dass sie unmöglich einfach so gewachsen sein konnten.
»Und die großen Pilze da oben?«
Der Meermann berührte das Muschelhorn vor seiner Brust. »Das müssen die Himmelsposaunen sein. Den Legenden nach sind sie unmittelbar nach dem Fall des Lebensbaums entstanden. Die einstigen Wächter Jada’Maars vermochten damit einen Alarmruf zu erzeugen, der angeblich jeden Bewohner erreichte, egal, wie weit er sich vom Stadtgebiet entfernt hatte. Selbst umherstreifende Späher und Kriegertrupps, die ansonsten unerreichbar gewesen wären, konnten so vor einem erneuten Angriff der Drachen gewarnt werden.« Nikk schnaubte. »Leider hat das nicht ausgereicht, um gegen die Drachen zu bestehen.« Er winkte ab und wies hinüber zu der Blütenfee, die zum jenseitigen Rand der
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