Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
Kanal, dem sie gefolgt waren, in den See. Fi konnte dort einen von Kletterrosen umrankten Steg ausmachen. Er reichte weit auf den See hinaus und endete an einem verspielten Holzbau. Mit den acht Stützpfosten, dem reich verzierten Geländer und dem spitzen Dach erinnerte Fi das Gebäude an einen Pavillon.
»Wir haben unser Ziel erreicht«, meinte der Däumling.
»Dieser See ist Berchtis’ Spiegel?«, fragte Nikk ehrfürchtig.
Magister Eulertin nickte. »Kommt, begleitet mich hinüber zur Appella.«
Der Pavillon war also eine elfische Anrufungshalle. Auch am Lunamon hatte es einen Ort wie diesen gegeben. Die Ältesten aus dem Volk der Elfen nutzen ihn, um mit Dryaden und anderen Naturgeistern des Einhornwaldes in Verbindung zu treten.
Fi und Nikk folgten Eulertin über die alte Brücke zu dem hölzernen Säulenbau. Er war über und über mit Kletterrosen bewachsen, deren betörender Duft weit über das Wasser reichte. Plötzlich war aufgeregtes Flügelschlagen am Nachthimmel zu hören und Kriwa landete auf dem Brückengeländer.
»Puh, ich dachte schon, ich käme zu spät«, krächzte die Möwe. »Im Hafen herrscht bereits große Aufregung.«
»Du kommst doch nie zu spät, liebe Freundin«, antwortete Eulertin amüsiert. Er schwebte unter dem Dach des Pavillons und kramte in seinen Taschen nach drei winzigen Fläschchen aus Feenkristall. Fi war sich dessen nur so sicher, weil sich in den splittergroßen Objekten regenbogenfarben das Mondlicht brach.
»Ich habe eine Bitte.« Magister Eulertin straffte sich und blickte Fi und Nikk ernst an. »Überlegt euch gut, was ihr fragt. Berchtis’ Antworten mögen manchmal rätselhaft erscheinen, aber in ihnen ruht stets eine tief verborgene Wahrheit. Berchtis ist nicht allwissend, aber sie vermag aus den Mustern, die das Unendliche Licht webt, das Schicksal zu deuten. Sie ist zwar nicht wie die Nornen, die in die Zukunft blicken können, doch wer weise genug ist, kann aus ihren Worten auf Ereignisse schließen, die die Zukunft beeinflussen.«
Fi und Nikk sahen Magister Eulertin gespannt an, doch er sah nur fragend zurück. Offenbar war das die ganze Ansprache.
»Mit anderen Worten«, fasste Nikk das Gehörte zusammen, »Berchtis ist das, was sie ist – eine Fee!«
»Äh, ja.« Der Däumling räusperte sich. »Wir fangen besser gleich an. Ich muss die Kraft der vier Elemente erwecken, die unsere Welt zusammenhalten: Luft, Erde, Wasser und Feuer.« Er schwang den Zauberstab und beschwor vor ihren Augen einen stürmischen Wirbel mit rauchigen Gesichtszügen und spiralförmigen Wolkenärmchen herauf. Der Luftstrudel stob brausend zu einer hölzernen Schale, die an der linken Brüstung des Stegs befestigt war. Ein Luftelementar! Der Säuselgeist drehte sich unentwegt im Kreis und schien die Umgebung kaum wahrzunehmen.
»Und nun die Geschenke meiner Kollegen.« Eulertin öffnete eines der Fläschchen. Unter leisem Grummeln fuhr ein feiner Staubschleier aus der Öffnung, den der Zauberer mit einem magischen Windstoß zu einer zweiten Schale wehen ließ, die gegenüber der ersten angebracht war. Kaum berührte der Staubschleier das Gefäß, verfestigte er sich auch schon zu einem Erdklumpen mit dunklem Lehmgesicht, das laut schmatzte. Ein Erdelementar!
Fi sah sich um und entdeckte an der Brüstung eine dritte und vierte Schale, die fast von den Kletterrosen zugewachsen waren. Alle vier Schalen standen einander gegenüber. Eulertin hatte bereits die nächste Phiole entkorkt. Ein feiner Wassernebel sprühte daraus hervor. Auch diesen blies der kleine Magier mithilfe eines Luftstoßes hinüber zur dritten Schale. Munter plätscherte dort nun eine kleine Wellengestalt, deren Gesichtszüge weich und zugleich launisch wirkten.
»Jetzt kommt das kostbarste Geschenk von allen.« Eulertin seufzte und musterte die verbliebene Phiole gedankenverloren. »Es war verdammt schwer, sie aufzutreiben.« Schon im nächsten Moment sprang eine kleine Flamme aus den Händen des Zauberers hinüber zur letzten Schale, wo sie sich unter prasselnden Lauten zu einem Glutball mit glühenden Augen aufblähte. Grimmig sah die Knistergestalt in die Runde.
Wie auf ein geheimes Kommando verzogen die vier Elementargeister verklärt die Gesichter. Sie stimmten einen wehmütigen Gesang an, der weit über den See getragen wurde. Fi lief ein Schauer über den Rücken. Über den Seeufern tauchten jetzt zahllose kleine Punkte auf, die aufgeregt auf und ab tanzten und den Gesang mit einem Chor heller Stimmen
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