Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
Verkleinerungstränke.« Ohne weitere Erklärungen sauste der Magier zur Brücke, wo Kriwa bereits mit den Flügeln schlug. »Bring die beiden zum Hafen«, bat er sie. »Beeile dich! Und anschließend bringst du sie hierher. Du weißt, wo sie ist.«
»Thadäus, bist du dir sicher, dass …?«
»Tu es, bitte!«, unterbrach sie der Däumling mit Nachdruck. Dann jagte er auf dem Eichenblatt dem Wald entgegen.
»Ich brauche diesen Trank nicht.« Nikk fixierte die Mündung des Kanals, der sie zum See geführt hatte, stieg auf die Brüstung und hechtete mit einem Kopfsprung ins Wasser. Noch in der Luft verwandelten sich seine Beine zurück in eine Fischflosse und im nächsten Moment war Nikk verschwunden.
»Mach schon, Fi!«, krähte die Möwe. »Du musst einfach draufbeißen!«
Fi starrte auf die beiden Kürbiskernfläschchen, verstaute das überzählige hastig in ihrem Gürtel und warf sich das andere in den Mund. Angewidert verzog sie das Gesicht, denn die Flüssigkeit schmeckte faulig. Nur einen Augenblick später machte sich ein schmerzhaftes Zerren und Reißen in ihren Gliedern bemerkbar. Fi stöhnte auf. Jäh wuchs die Brüstung des Pavillons vor ihr empor, während sie innerhalb weniger Atemzüge immer kleiner wurde, bis sie gänzlich auf Däumlingsgröße zusammengeschrumpft war. Beim Unendlichen Licht! Die Moose und Dreckklumpen am Boden ragten vor ihr wie Büsche und Hügel auf. Doch ihr blieb keine Zeit, die neue Aussicht zu bestaunen, denn schon packte Kriwa sie mit dem Schnabel und warf sie sich grob auf den Rücken.
»Halt dich gut fest!«, krächzte die Möwe.
Was sollte sie denn sonst tun? Verzweifelt klammerte sich Fi an die Federn. Kriwa breitete die Flügel aus, stieß sich ab und rauschte dem Nachthimmel entgegen. Fi ächzte. Sie flog auf dem Rücken einer Möwe. Einer Möwe! Sie konnte es einfach nicht glauben. Doch rasch war sie sich wieder der drohenden Gefahr bewusst. Denn trotz des Flugwindes konnte sie in der Ferne noch immer die Klänge der Alarmhörner hören.
Vorsichtig wagte Fi einen Blick in die Tiefe. Unter ihr zogen die mächtigen Baumkronen Jada’Maars dahin und sie sah, dass Kriwa direkt auf Berchtis’ Leuchtturm zuhielt, dessen wundersames Licht noch immer brannte. Was mochte im Hafen passiert sein?
Kriwa kippte schräg ab und jagte direkt auf die Lagune mit den Schiffen zu. Endlich sah Fi, welche Gefahr sich der Elfenstadt näherte: krebsartige Geschöpfe auf vier Beinen, mit mächtigen Scherenarmen und tückischen Stielaugen. In breiter Front erhoben sich mindestens zwei Dutzend aus den Fluten und marschierten auf das Ufer zu. Das mussten die gefürchteten Humeriden sein! Die seltsamen Geschöpfe waren fast anderthalb mal so groß wie ein Elf. Wie hatten sie es geschafft, den Weg nach Jada’Maar zu finden?
Fi konnte in dem Durcheinander unter sich laute Rufe und Kommandos hören. Seeleute hetzten zu den Schiffen und bewaffneten sich mit Säbeln, Entermessern und Speeren. Auf den Klabauterschiffen wurden bereits Katapulte gespannt, doch die Humeriden erreichten das Ufer, bevor die Geschützmannschaften feuern konnten. Wie wandelnde Türme ließen sie gnadenlos ihre Scherenarme kreisen. Von der Wucht der Schläge angehoben, flogen schon die ersten Verteidiger bis zu den elfischen Lagerhäusern, wo sie reglos liegen blieben. Unter lautem Kampfgeschrei stürmten weitere Seeleute vor, doch ihre Klingen prallten an den dicken Panzern der Humeriden ab und die Schäfte der Speere zerbrachen zwischen den mächtigen Scheren wie morsches Geäst.
Kriwa landete direkt am Ufer, das mit umgekippten Körben, Truhen und Waren übersät war. Nackte Männerfüße rannten an ihnen vorbei und im Tumult waren immerzu laute Befehle und gellende Todesschreie zu hören.
»Rasch, mach dich groß!«, herrschte Kriwa Fi an.
Aber wie sollte sie das anstellen? Fi sprang mit dem neuen Bogen in der Hand vom Rücken der Möwe. Vor ihr ragte ein umgekippter Weidenkorb auf, hinter dem Kriwa wieder zum Nachthimmel aufstieg. Fi konzentrierte sich und tatsächlich reagierte ihr Körper darauf. Abermals fuhr ein scharfer Schmerz durch ihre Glieder und sie wuchs so rasch in die Höhe, wie sie geschrumpft war. Ein Seemann mit blutender Schulterwunde taumelte auf sie zu und gaffte sie ungläubig an, bevor er zu Boden ging. Fi sah in die Richtung, aus der er gekommen war, und entdeckte ein paar Seeleute, die ein Netz über einen der Humeriden geworfen hatten. Unglaublich, wie groß diese Krebswesen waren. Die
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