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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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beschneiden. Das beste Kaminholz ist Esche.
    Ich schreibe mir das alles auf. Ich inventarisiere, was von ihr noch übrig ist, die Flecken und Falten, ihre gedunsene oder bleiche Haut, die abblätternden und die geröteten Stellen. Und schreibe auf, woran ich denken muss.
    Täglich: Sonnenschutzcreme verwenden.
    Graue Haare kaschieren.
    Nicht wahnsinnig werden.
    Weniger Fett und Süßes essen.
    Mehr Gymnastik machen.
    Nichts vergessen.
    Die Haare in den Ohren schneiden.
    Kalzium nehmen.
    Feuchtigkeitscreme benutzen. Täglich.
    Die Zeit einfrieren, dass sie für immer stehen bleibt.
    Nicht so verdammt alt werden.
    Sie sagt: »Hörst du gelegentlich von Victor, meinem Sohn? Erinnerst du dich noch an ihn?«
    Ich erstarre. Ich fühle einen Stich ins Herz, weiß aber nicht mehr, was dieses Gefühl zu bedeuten hat.
    Victor, sagt meine Mutter, kommt nie zu Besuch, und wenn er kommt, hört er mir nicht zu. Victor hat viel zu tun, er ist zerstreut und interessiert sich für nichts. Er hat das Medizinstudium aufgegeben und verpfuscht sein ganzes Leben.
    Sie zupft an den Flusen auf ihrer Bettdecke. »Er hat einen schlecht bezahlten Job als Reiseführer oder so was Ähnliches«, sagt sie. Und seufzend tastet sie mit ihren furchtbaren gelben Händen nach der Fernbedi e nung.
    Ich frage, ob Victor sich nicht auch so um sie kümm e re. Ob er nicht das Recht habe, sein eigenes Leben zu leben. Ich sage, vielleicht hat Victor so viel zu tun, weil er jeden Abend unterwegs ist und sich buchstä b lich dafür umbringt, die ganzen Rechnungen für ihre Betreuung zu bezahlen. Immerhin dreitausend Dollar im Monat. Vielleicht hat Victor nur deswegen das St u dium aufgegeben. Ich sage, rein rhetorisch, dass Vi c tor sein Bestes tut, könnte doch sein, verdammt noch mal.
    Ich sage, vielleicht tut Victor ja mehr, als irgendwer ihm überhaupt zutrauen würde.
    Und meine Mutter antwortet lächelnd: »Ach Fred, i m mer musst du die hoffnungslos Schuldigen verteid i gen.«
    Meine Mutter macht den Fernseher an, und eine sch ö ne Frau in glitzerndem Abendkleid haut einer anderen schönen Frau eine Flasche an den Schädel. Der Schlag bringt zwar nicht mal ihre Frisur durcheinander, de n noch erleidet die Frau einen Gedächtnisverlust.
    Vielleicht hat Victor selbst mit Problemen zu kämpfen, sage ich.
    Die eine schöne Frau programmiert die mit dem G e dächtnisverlust so um, dass sie sich für einen Killerr o boter hält, der jeden Befehl der schönen Frau befolgen muss. Die zum Killerroboter umfunktionierte Frau a k zeptiert die neue Identität so unbeschwert, dass man sich fragt, ob sie den Gedächtnisverlust nicht bloß vo r täuscht, weil sie schon immer nach einem guten Grund gesucht hat, einmal nach Lust und Laune mo r den zu dürfen.
    Irgendwie verläuft sich meine Wut, mein Zorn, wenn ich so mit meiner Mutter rede und wir in die Glotze starren.
    Wenn meine Mutter früher Rührei gemacht hat, waren da immer Flocken von der Teflonbeschichtung der Pfanne mit drin. Zum Kochen hat sie Aluminiumtöpfe benutzt, und unsere Limonade mussten wir aus dü n nen Aluminiumbechern trinken, auf deren kühlen, we i chen Rändern wir herumgekaut haben. Und die Deos, die wir uns in die Achseln schmierten, haben Alumin i umsalze enthalten. Es gibt wahrhaftig zahllose Erkl ä rungen dafür, wie wir es bis hierher gebracht haben können.
    Als Werbung kommt, fragt meine Mutter, ob es aus Victors Privatleben irgendetwas Positives zu berichten gebe.
    Womit vergnüge er sich? Wo sehe er sich in einem Jahr? In einem Monat? In einer Woche?
    Ich habe keine Ahnung.
    »Und wie zum Teufel soll ich das verstehen«, sagt sie, »dass Victor sich jeden Abend umbringt?«

7
    Nachdem der Kellner gegangen ist, spieße ich die Häl f te meines Lendensteaks auf die Gabel und stopfe mir das Ganze in den Mund, und Denny sagt: »Mann.« Er sagt: »Lass das. Nicht hier.«
    Überall um uns herum speisen Leute in schicken Kle i dern. Kerzen und Kristall auf den Tischen. Jede Menge zusätzliches Spezialbesteck. Niemand argwöhnt etwas.
    Die Lippen springen mir auf, als ich sie um den Fleischbatzen zu schließen versuche. Das Fleisch schmeckt salzig und nach zerstoßenem Pfeffer und trieft vor Fett. Ich ziehe die Zunge zurück, um mehr Platz zu schaffen. Die Speicheldrüsen quellen über. Fleischsaft und Sabber laufen mir übers Kinn.
    Wer sagt, rotes Fleisch sei ungesund, weiß gar nicht, wie Recht er damit hat.
    Denny blickt sich hastig um und sagt durch die Zähne: »Du wirst gierig, mein

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