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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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treibst.«
    Ich taumle wieder rüber und gebe ihm noch einen Tritt.
    Von wegen infantil. Ich mache das, damit die Me n schen mal ein Abenteuer erleben.
    Ich mache das, um Helden zu erschaffen. Um Leute auf die Probe zu stellen.
    Wie die Mutter, so der Sohn.
    Ich mache das, um Geld ranzuschaffen.
    Jemand rettet einem das Leben, und dafür liebt er einen dann in alle Ewigkeit. Schon bei den alten Ch i nesen gab es den Brauch, dass jemand, der einem das Leben gerettet hat, von da an für einen verantwortlich war. Man wird praktisch an Kindes statt angenommen. Bis ans Ende ihres Lebens werden diese Leute mir schreiben. Mir am Jahrestag Karten schicken. Geburt s tagskarten. Es ist schon deprimierend, wie viele Leute jeweils auf dieselbe Idee kommen. Manche rufen auch an. Wollen wissen, ob alles in Ordnung ist. Ob man etwas Aufmunterung braucht. Oder Geld.
    Es ist ja nicht so, dass ich das Geld ausgebe, um Hostessen antanzen zu lassen. Die Unterbringung meiner Mutter in der Pflegeanstalt St. Anthony ’ s kostet etwa dreitausend Dollar im Monat. Die guten Samar i ter ha l ten mich am Leben. Und ich meine Mutter. So einfach ist das.
    Wer sich schwach stellt, erwirbt Macht. Durch den G e gensatz fühlen die Leute sich überaus stark. Man re t tet Menschen, indem man sich von ihnen retten lässt.
    Man muss nur schwach und dankbar sein. Also bleib der Unterlegene.
    Die Leute brauchen jemanden, dem sie sich überlegen fühlen können. Also bleib klein und unbedeutend.
    Die Leute brauchen jemanden, dem sie zu Weihnac h ten einen Scheck schicken können. Also bleib arm.
    »Nächstenliebe« ist nicht das richtige Wort, aber das erste, das mir dazu einfällt.
    Du lieferst ihnen den Beweis, dass sie Mut besitzen. Den Beweis, dass sie Helden sind. Du bist der Nac h weis ihres Erfolgs. Ich mache das, weil jeder einem Menschen das Leben retten will, wenn hundert andere zusehen.
    Denny zeichnet mit der Spitze seines Steakmessers die Architektur des Raums auf das weiße Tischtuch, die Leisten, die Täfelung, die durchbrochenen Obe r lichter über den Türen. Und kaut dabei unablässig we i ter. Dann hebt er den Teller an den Mund und schiebt sich das Essen gleich so in den Rachen.
    Um einen Luftröhrenschnitt durchzuführen, ertastet man zunächst einmal die Delle unterhalb des Adam s apfels, unmittelbar oberhalb des Ringknorpels. Mit dem Steakmesser einen horizontalen Einschnitt von etwa einem Zentimeter Länge machen, die Öffnung aufdrücken und mit einem Finger weiten. Trachealk a nüle einführen; hierzu eignet sich am besten ein Strohhalm oder die vordere Hälfte eines Kugelschre i bers.
    Wenn ich schon kein großer Arzt sein kann, der hu n derte von Patienten rettet, bin ich auf diese Weise immerhin ein großer Patient, der hunderte von Leuten zu Möchtegernärzten macht.
    Am schnellsten nähert sich ein Mann im Smoking, er schwingt ein Steakmesser und einen Kugelschreiber und schiebt sich hastig durch die Zuschauer.
    Als Erstickender wirst du für die Leute zu einer Lege n de, die sie bis an ihr Lebensende hegen und pflegen werden. Sie glauben, sie haben dir das Leben g e schenkt. Vielleicht bist du tatsächlich die einzige gute Tat, die Erinnerung, die noch auf dem Sterbelager ihr ganzes Dasein rechtfertigt.
    Also sei das aggressive Opfer, der große Verlierer. Der professionelle Versager.
    Die Leute werden durch Reifen springen, nur um das Gefühl zu haben, ein Gott zu sein.
    Das Märtyrertum des heiligen Ich.
    Denny schiebt sich den Rest meines Essens auf seinen Teller und schaufelt weiter.
    Der Weinkellner ist da. Die Frau im kleinen Schwarzen steht neben mir. Der Mann mit der dicken goldenen Armbanduhr.
    Gleich wird mich jemand von hinten packen. Irgendein Fremder wird seine Arme um mich schlingen, mir die Fäuste unter die Rippen pressen und mir ins Ohr flü s tern: »Alles in Ordnung.«
    Ins Ohr flüstern: »Es wird alles wieder gut.«
    Zwei Arme umklammern dich, heben dich vielleicht sogar hoch, und ein Fremder flüstert: »Atmen! Ve r dammt, Sie müssen atmen!«
    Jemand klopft dir auf den Rücken, wie ein Arzt einem Neugeborenem einen Klaps gibt, und du hustest den halb zerkauten Fleischklumpen aus. Eine Sekunde sp ä ter liegt ihr beide ächzend auf dem Boden. Du schluchzt, und jemand sagt, alles sei in Ordnung. Du lebst. Du bist gerettet. Du bist beinahe gestorben. Die Leute drücken sich deinen Kopf an die Brust, wiegen dich und sagen: »Alles zurücktreten. Machen Sie Platz. Alles vorbei.«
    Und schon bist du ihr

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