Der Simulant
sagte: »Ich schätze, uns bleiben ungefähr dreißig Tage, genug Abenteuer für ein ganzes Leben zu sa m meln. Danach sind meine Kreditkarten abgelaufen.«
Autos hupten und wichen aus. Das Radio brüllte hinter ihnen her. Hubschrauber sanken dröhnend tiefer.
Und die Mutter sagte: »Und jetzt halt meine Hand gut fest, genau wie bei >An der schönen blauen Donau<.« Sie sagte: »Denk jetzt gar nichts.« Sie sagte: »Lauf einfach los.«
16
Der nächste Patient ist eine Frau, etwa neunundzwa n zig Jahre alt; an der Innenseite des Oberschenkels hat sie einen Leberfleck, der einen verdächtigen Eindruck macht. Bei dem Licht hier ist das schwer zu sagen, aber der Fleck wirkt zu groß, er ist asymmetrisch und schimmert bläulich und braun. Die Ränder sind unr e gelmäßig. Die Haut in der Umgebung ist aufgesche u ert.
Ich frage sie, ob sie sich daran gekratzt habe.
Und ob in ihrer Familie Fälle von Hautkrebs aufgetr e ten seien.
Neben mir sitzt Denny, er hat seinen Skizzenblock auf dem Tisch vor sich liegen und kokelt mit seinem Fe u erzeug einen Korken an, bis dieser an einem Ende ganz schwarz ist. Er sagt: »Mann, also wirklich.« Er sagt: »Was bist du denn heute Abend so feindselig? Hast du einen Rückfall gehabt?«
Er sagt: »Immer wenn du eine Nummer geschoben hast, ist dir die ganze Welt zuwider.«
Die Patientin geht in die Knie und spreizt sie weit au s einander. Sie lehnt sich zurück und macht es sich mit der Hand, in Zeitlupe. Allein durch Kontraktion der Gesäßmuskeln setzt sie Schultern, Brüste und Scha m hügel in Bewegung. Ihr ganzer Körper wogt vor uns hin und her.
Die Symptome des Melanoms merkt man sich mit der Buchstabenfolge ABCD.
Asymmetrische Form.
Blau-schwarze Verfärbung.
Charakteristisch unregelmäßiger Rand.
Durchmesser größer als sechs Millimeter.
Sie ist rasiert. Perfekt gebräunt und eingeölt, so glatt, dass sie weniger einer Frau als vielmehr irgendeinem Automaten gleicht, in den man seine Kreditkarte rei n schieben kann. Sie befummelt sich unmittelbar vor uns, und in der düsteren Mischung aus rotem und schwarzem Licht erscheint sie schöner, als sie tatsäc h lich ist. Das rote Licht überdeckt Narben und Schra m men, Pickel und Tätowierungen, Druck - und Kratzsp u ren. Das schwarze Licht macht ihre Augen und Zähne strahlend weiß.
Seltsam, wie das Schöne an der Kunst so viel mehr mit dem Rahmen als mit dem Kunstwerk selbst zu tun hat.
Der Trick mit dem Licht lässt sogar Denny gesund aussehen, die dünnen Ärmchen, die wie Hühnerflügel aus dem weißen T-Shirt ragen. Sein Skizzenblock leuchtet gelb. Er saugt an der Unterlippe und beißt hinein, während sein Blick von der Patientin auf die Zeichnung und dann wieder zur Patientin wandert.
Während sie weiter an sich herumfummelt, schreit sie durch die Musik hindurch: »Was?«
Sie ist offenbar von Natur aus blond, ein hoher Risik o faktor, also frage ich, ob sie in letzter Zeit auf une r klärliche Weise Gewicht verloren habe?
Ohne mich anzusehen, sagt Denny: »Mann, weißt du eigentlich, wie viel mich ein richtiges Modell kosten würde?«
Mit dem Rücken zu ihm, sage ich: »Mann, vergiss nicht, ihre eingewachsenen Haare zu zeichnen.«
Die Patientin frage ich, ob sie irgendwelche Unrege l mäßigkeiten in ihrem Zyklus oder beim Stuhlgang b e merkt habe?
Sie kniet vor uns, spreizt sich mit ihren schwarz l a ckierten Fingernägeln auseinander und lehnt sich z u rück, sie blickt an ihrem gebogenen Oberkörper hinu n ter und sagt: »Was?«
Hautkrebs, schreie ich, ist der häufigste Krebs bei Frauen im Alter zwischen neunundzwanzig und vie r unddreißig.
Ich schreie: »Ich muss deine Lymphknoten befühlen.«
Und Denny sagt: »Mann, willst du nun wissen, was deine Mutter mir erzählt hat oder nicht?«
Ich schreie: »Ich muss deine Milz abtasten.«
Rasch mit dem geschwärzten Korken skizzierend, sagt er: »Sind wir jetzt wieder im Schamzyklus?«
Die Blonde schlingt die Ellbogen unter die Knie, rollt auf den Rücken und spielt sich mit Daumen und Zeig e finger an den Brustwarzen. Sie reißt den Mund weit auf, wackelt mit der Zunge und sagt: »Daiquiri.« Sie sagt: »Ich heiße Cherry Daiquiri. Du darfst mich nicht anfassen«, sagt sie, »aber wo soll dieser Leberfleck sein?«
Die einzelnen Schritte einer ärztlichen Untersuchung merkt man sich mit der Abkürzung HAVAMA FADTAS. Mnemotechnik für Medizinstudenten. Die Buchstaben stehen für:
Hauptbeschwerden.
Andere Beschwerden.
Vorgeschichte der
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