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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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guskarzinom oder zum Allermindesten auf ein Mage n geschwür.
    Jeder Windhauch flüstert von squamösen Karzinomen.
    Die Vögel in den Bäumen singen von Histoplasma-Mykosen.
    Jeder nackte Mensch wird für dich zum Patienten. Eine Tänzerin kann noch so klare, entzückende Augen und feste, braune Brustwarzen haben, aber ihr schlechter Atem kann nur Leukämie bedeuten. Eine Tänzerin kann noch so dichte, lange, gepflegte Haare haben, aber wenn sie sich am Kopf kratzt, hat sie Lymphgr a nulomatose.
    Blatt um Blatt füllt Denny seinen Block mit Aktstudien, zeichnet schöne Frauen, die ihn anlächeln, schlanke Frauen, die ihm Kusshände zuwerfen, Frauen, die mit gesenktem Kopf durch das hinabgesunkene Haar zu ihm aufschauen.
    »Verlust des Geschmackssinns«, erkläre ich Denny, »bedeutet Mundhöhlenkrebs.«
    Und ohne mich anzusehen, weil sein Blick immer nur zwischen seiner Skizze und der neuen Tänzerin hin und her wandert, sagt Denny: »Mann, dann hast du diesen Krebs ja schon lange.«
    Selbst wenn meine Mutter sterben würde, bin ich mir nicht sicher, ob ich das Studium wirklich wieder au f nehmen soll, bevor meine Scheine ihre Gültigkeit ve r lieren. Wie es aussieht, weiß ich auch jetzt schon mehr, als ich vertragen kann.
    Wenn man erst einmal dahinter gekommen ist, was alles schief gehen kann, sieht man das Leben mit a n deren Augen: Man lebt nicht mehr, man wartet nur noch. Auf Krebs. Auf Demenz. Bei jedem Blick in den Spiegel sucht man nach dem roten Ausschlag, der auf Gürtelrose hinweist. Siehe auch: Grind.
    Siehe auch: Krätze.
    Siehe auch: Lyme-Borreliose, Meningitis, Gelenkrhe u matismus, Syphilis.
    Die nächste Patientin ist wieder blond; und schlank, vielleicht etwas zu schlank. Wahrscheinlich ein Spina l tumor. Wenn sie Kopfschmerzen hat, dazu leichtes Fieber und Halsschmerzen, hat sie Polio.
    »Mach mal so«, schreit Denny zu ihr rauf und hält sich die Hände vor die Brillengläser.
    Die Patientin gehorcht.
    »Schön«, sagt Denny und wirft eine Skizze hin. »Und jetzt den Mund ein bisschen aufmachen.«
    Sie tut es.
    »Mann«, sagt er. »So scharfe Modelle gibt ’ s im Ze i chenkurs nie.«
    Ich sehe nur, dass sie keine sonderlich gute Tänzerin ist, und so ein Mangel an Koordinationsfähigkeit weist natürlich auf amyotrophische Lateralsklerose hin.
    Siehe auch: Charcot-Krankheit.
    Siehe auch: Totale Lähmung. Siehe auch: Atempro b leme. Siehe auch: Krämpfe, Müdigkeit, anfallsweises Weinen.
    Siehe auch: Tod.
    Denny verreibt die Korkenstriche mit der Handkante, um Schatten und räumliche Tiefe herzustellen. Das Bild zeigt die Frau auf der Bühne, die Hände vor den Augen, den Mund leicht geöffnet, und Denny erfasst das alles sehr schnell, sein Blick richtet sich auf Ei n zelheiten, auf den Nabel, die Wölbung ihrer Hüften. Mein einziger Kritikpunkt ist der, dass Denny die Fra u en nicht so zeichnet, wie sie wirklich aussehen. Schlabbrige Oberschenkel erscheinen bei ihm wie aus Fels gemeißelt. Tränensäcke werden bei ihm glatt und straff.
    »Hast du noch was Geld übrig, Mann?«, fragt Denny. »Ich will nicht, dass sie jetzt schon geht.«
    Aber ich bin blank, und das Mädchen rückt zu unserem Nachbarn an der Bühne weiter.
    »Zeig mal, Picasso«, sage ich.
    Als Denny sich unterm Auge kratzt, bleibt ein dicker Rußfleck zurück. Er hält mir den Block so hin, dass ich eine nackte Frau sehen kann; sie hat die Hände vor den Augen, spannt ihre geschmeidigen Muskeln, und nichts an ihr ist durch Schwerkraft, ultraviolettes Licht oder schlechte Ernährung verunstaltet. Ihre Haut ist glatt, aber weich. Ihr Körper straff, aber entspannt. Physisch absolut unmöglich.
    »Mann«, sage ich. »Die sieht ja viel zu jung aus.«
    Als Nächste kommt wieder Cherry Daiquiri, und die s mal lächelt sie nicht; sie saugt die Innenhaut ihrer Wange zwischen die Zähne und fragt mich: »Der L e berfleck da – ist das wirklich Krebs? Ich kenn mich da nicht aus, aber muss ich mir wirklich Sorgen m a chen … ?«
    Ohne sie anzusehen, hebe ich einen Finger. Internat i onale Zeichensprache für: Bitte warten. Der Arzt wird sich gleich um Sie kümmern.
    »So dünne Schenkel hat sie nicht«, sage ich zu Denny »Und ihr Arsch ist viel dicker, als du ihn gezeichnet hast.«
    Ich beuge mich zu Dennys Zeichnung rüber und ve r gleiche sie noch einmal mit der vorigen Patientin. »Du musst ihre Knie dicker machen«, sage ich.
    Die Tänzerin nebenan bedenkt mich mit einem finst e ren Blick.
    Denny zeichnet einfach weiter. Ihre Augen

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