Der Simulator
zu bringen und die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Meistens waren es Andreij oder Scott, die die Runde, wenn auch nur für wenige Minuten, einten. So war es auch, als Arkadij beim ersten Abendessen das Wort an ihn richtete: »Sagen Sie, Max, mit was gedenken eigentlich Sie, die Welt zu beglücken?«
In die plötzliche Stille hinein, erschien ihm sein Räuspern viel zu laut. »Ich verstehe nicht...«
Glücklicherweise wurden in diesem Augenblick die ersten Teller mit dem Hauptgericht hereingebracht, was von lauten Rufen der Freude begleitet wurde und ihm eine Atempause verschaffte. Massimo Giacometti beklagte sich, dass er Fisch statt Fleisch bekommen habe, wogegen seine Schwester unbeirrt behauptete, er habe nichts anderes bestellt. Josef, der auf sein Essen noch wartete, bot an, mit ihm zu tauschen, was Massimo mit der Bemerkung ablehnte, er könne diese Freundlichkeit keinesfalls annehmen. Maximilian starrte auf das dunkle, fast schwarze Fleisch auf seinem Teller. Es roch nach frischem Thymian, und er hatte gerade nach der Gabel gegriffen, als Scott nachsetzte.
»Unser Freund Giacometti hat aus seiner Leidenschaft keinen Hehl gemacht, er ist Dichter.« Sein Französisch war schlecht, und häufig musste er auf italienische oder gar englische Vokabeln zurückgreifen. »Ich bin, wie Sie wissen, novelist. Gestatten Sie mir, auch die restlichen Laster aufzudecken. Die Dame zu meiner Rechten ist eine einzigartige Pianistin.« Er verneigte sich vor Lidia, was sie mit einem koketten Lächeln erwiderte. »Germaine dagegen ist Malerin. Paris! Natürlich! Was könnte man dort auch sonst werden? Arkadij dagegen – Russe, wie Sie wissen – ist natürlich Komponist und kein schlechter, glauben Sie mir, kein schlechter. Nun, Boris... Tja, er schreibt, er malt, was man als intellektueller Revolutionär eben so tut. Alles im Dienst der Arbeiterklasse, versteht sich.« Die Frauen kicherten, die anderen lächelten amüsiert, und Maximilian fragte sich, wie ernst er Scotts Redeschwall nehmen konnte »Josef ist Architekt oder so was ähnliches, aber das erklärt er Ihnen am besten selbst, und unser stiller Freund Matteo, er ist übrigens ein paar Dörfer von hier geboren, ist Bildhauer. Na ja, als Pianist wäre er auch schlecht durchgegangen.« Allgemeine Heiterkeit folgte seinen Worten. Scott trank sein Weinglas leer und strich sich über den dunklen Schnurrbart. Er schwitzte und sein Gesicht war gerötet. »Wie Sie sehen, ein illustrer Kreis, in den Sie hineingeraten sind. Also enttäuschen Sie uns nicht!« Unter der Hand, aber doch so laut, dass es alle hören konnten, fügte er hinzu: »Notfalls erfinden Sie etwas!«
»Ja, Max, verraten Sie uns Ihr kleines Geheimnis«, das war Germaine, und auch die anderen warfen etwas ein, um ihn zu ermuntern.
»Ich... Ich schreibe...« Wieder wunderte er sich über den Klang seiner Stimme.
Massimo Giacometti rief «Bravo!« und intonierte: » Cosa sono? Sono un poeta! Cosa faccio? Scrivo !« Er klatschte in die Hände: «Bravissino! Man kann es nicht besser ausdrücken: Scrivo! Wussten Sie übrigens, dass Puccini hier geboren wurde. Torre del Lago ist keine halbe Zugstunde entfernt.« Er machte eine Geste in eine unbestimmte Richtung, um dann ernster und mit erhobenem Zeigefinger hinzuzufügen: »So international wir hier sind, vergessen wir nicht, wo wir sind. In Italien! Im kulturellen Zentrum Europas!« Er reckte das Kinn in die Höhe, und sein schmales Gesicht wurde hart. Mit dem schwarzen zurückgekämmten und pomadisierten Haar glich er für einen Augenblick tatsächlich einem überheblichen Aristokraten. Doch dann lachte er, als habe er nur einen Scherz gemacht, und Arkadij warf beschwichtigend ein: »Rom, Paris, Berlin! Wo stünde heute Europa, hätte es diesen schrecklichen Krieg nicht gegeben!« Noch bevor Giacometti zu einer Erwiderung ansetzen konnte, fügte er hinzu: »Die Jugend Europas möge fortan ein Vorbild abgeben für das Zusammenleben der Völker. Lasst uns darauf trinken. Auf uns!«
Und da ihm niemand widersprechen wollte oder konnte, hob man die Gläser und beeilte sich, das Thema zu wechseln. Die Runde zerfiel erneut in verschiedene Seitengespräche, nur Maximilian und neben ihm Matteo aßen schweigend zu Ende.
Der restliche Abend wurde mit mehreren Runden Espresso eingeläutet. Dazu gab es Grappa, für die Damen Zitronen-oder Mandellikör. Später, für den Fall, dass sich wider Erwarten erneuter Appetit anmelden sollte, wurden cantuccini und vin santo
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