Der Simulator
ruhigen See. Hatte er noch vorgehabt, sich seiner Kleidung alsbald zu entledigen, um das Meer mit einem schnellen Bad zu begrüßen, setzte er sich scheu ein wenig abseits in den Sand. Er nahm seinen Hut ab, und die schwache Brise, die landwärts zog, strich ihm kühlend durchs Haar. Tief sog er die salzige Luft ein. Langsam und lautstark atmete er wieder aus. Es klang wie ein langer Seufzer.
»Darf ich mich vorstellen, Maximilian von Kampen.« Er verbeugte sich knapp. »Aus Deutschland«, fügte er unnötigerweise hinzu, denn sein Französisch ließ keinen Zweifel an seiner Herkunft.
Die Pensione Moderna war neueren Datums. Sie war dreistöckig und zweckmäßig gebaut. Nur das Dach und die Gartenanlage ließen Anklänge an den Jugendstil erkennen. Im Hochsommer wurden die Mahlzeiten draußen im vom Wein überrankten Hof eingenommen. Die ersten Juniabende konnten aber frisch werden, und Piero, der Wirt, ließ dann im Aufenthaltsraum decken. Dann schob seine Tochter die Tische zusammen, und die wenigen Gäste aßen und tranken gemeinsam im Licht der flackernden Öllampen bis in die Nacht hinein. Da der Ort sonst wenig Zerstreuungen bot, sah man vom wöchentlichen Tanzabend im nahen Hotel Principe ab, konnte man sich auf die regelmäßige Vollzähligkeit verlassen. Die Pension verfügte über zwölf Zimmer, doch so früh in der Saison war kaum mehr als die Hälfte davon belegt. Als Maximilian an den Tisch trat, zählte er, sich ausgenommen, lediglich acht Gäste.
Die kurze Vorstellungsrunde, die dann folgte, war ein wenig zu steif, und Maximilian argwöhnte, sie machten sich über ihn und seinen kadettenhaften Auftritt lustig. Zum Glück war er nicht der einzige Deutsche. Josef Lindemann kam aus Berlin, und auch er schien, nahm man die Blässe seines Gesichts zum Gradmesser, erst vor kurzem angekommen. Später sollte Maximilian erfahren, dass er eine längere Krankheit hinter sich hatte, und dass sein eingefallenes Äußere die Folge einer gerade überstandenen Schwindsucht war. Auch zwei Frauen saßen in der Runde. Germaine, eine nach der letzten Mode gekleidete und geschminkte Französin, die ihm schelmisch die Hand zum Kuss reichte und offenbar mit dem älteren der russischen Brüder befreundet war, Arkadij, wenn er den Namen richtig verstanden hatte. Dieser lebte im Pariser Exil, während Boris, der Jüngere, ein glühender Anhänger der Lenin’schen Lehren zu sein vorgab. Sie hatten sich seit Jahren nicht gesehen. Nach Italien waren sie gekommen, weil ein Treffen hier beiden am unauffälligsten erschien. Die zweite Frau, Lidia, war Italienerin. Auch sie war in Begleitung ihres Bruders, eines, wie Maximilian fand, aufgeblasenen Gockels, der sich im ersten Satz schon als Dichter vorstellte und damit seine ganze Abneigung auf sich zog. Er hieß Massimo Giacometti. Auffällig nahe bei Lidia saß ein übergewichtiger Amerikaner. Noch während Maximilian am Tisch stand und verlegen die verschiedenen Hände schüttelte, gelang es Scott McInerney seine halbe Lebensgeschichte zu erzählen. Er war schon während des Krieges in Italien gewesen, hatte mehrere Kurzgeschichten über seine Kriegserlebnisse veröffentlicht und wollte in diesem Sommer den großen Kriegsroman vollenden. So drückte er sich jedenfalls aus, und obwohl auch der Amerikaner, zu einer selbstverständlichen Großspurigkeit neigte, war er Maximilian auf Anhieb sympathisch, und so ging es offenbar auch den anderen; einzig der junge Giacometti hob abschätzig die Brauen. Aber vielleicht lag der wahre Grund dafür in Scotts offensichtlichem Interesse für die Schwester.
Der Achte der Gruppe nannte nur seinen Vornamen: Matteo. Er war offenbar auch Italiener, und obwohl er so gut wie nichts von sich preisgab, prägte er sich Maximilian am besten ein. Er war groß und muskulös, hatte dunkles kurz rasiertes Haar und erinnerte, nicht zuletzt wegen des unbewegten, fast finsteren Ausdrucks seines Gesichts, an einen römischen Gladiator, an einen Kämpfer jedenfalls, und Maximilian starrte ihn an, als könne er ihm dadurch mehr entlocken, als die wenigen Worte, die langsamen Bewegungen seiner Arbeiterhände.
Alle trugen Abendgarderobe, ohne übertrieben elegant zu erscheinen, sah man von den Damen ab, die eine detailverliebte Sorgfalt in der Auswahl ihrer Accessoires erkennen ließen. Niemand war älter als dreißig, mit Ausnahme von Arkadij vielleicht, in dessen schwarzem Haar silberne Strähnen glitzerten.
In einer Ecke stand ein Klavier, dessen
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