Der Simulator
aufgesetzte Freundlichkeit von vorhin war zur Gänze verschwunden, »ich weiß genau, was Sie denken. Und ich kann es Ihnen nicht einmal verübeln. Aber es geht hier nicht um Sie oder um mich. Es geht nicht einmal um diese Firma, die ich ganz alleine zu dem gemacht habe, was sie heute ist.« Er trat einen Schritt zurück. »Hier geht es um etwas viel Größeres. Think big , wie die Amerikaner sagen. Wir haben eine einmalige Chance, eine Chance wie es sie nur alle hundert Jahre einmal gibt. Wir können die Welt verändern. Jetzt arbeiten wir eben für diese Kleingeister von der GSD oder GFD oder wie immer sie sich nennen mögen. Doch wir werden den Simulator systematisch ausbauen, mit diesen Mitteln können wir ihn verdoppeln, was sage ich, verzehnfachen! Stellen Sie sich vor: einhunderttausend Einheiten, eine Million!« Er hatte wieder damit begonnen, auf und ab zu gehen. Trotz allem wusste er nicht wohin, mit seiner Energie.
»Marktforschung«, sagte er dann abfällig und wischte das Wort mit einer Handbewegung weg, »wissen Sie, was mich Marktforschung interessiert? Einen Scheißdreck.« Er war stehen geblieben und kam wieder auf mich zu. »Wir können eine neue Gesellschaft erschaffen, wir können eine friedliche und gerechte Welt schaffen mit dem Knowhow aus dem Simulator. Das ist es, wofür es sich zu kämpfen lohnt, wofür wir die eine oder andere Kröte schlucken. Verlieren Sie das große Ganze nicht aus den Augen, Lapierre!« Dann bedeutete er mir zu gehen.
Ich war schon fast aus der Tür, als ich mich noch einmal umdrehte. »Was ich Sie noch fragen wollte, Herr Kowalski. Kennen Sie einen Bogdan Draganski?
Zerstreut wandte er sich mir wieder zu: »Dragan, wer?«
»Bogdan Draganski.«
Eine Weile starrte er mich finster an. »Was wird das Lapierre, ein verdammter Quiz?«
»Nein, es ist nur...«
»Ich kenne keinen Dragan oder Bogdan«, brüllte er plötzlich. »Und jetzt fahren Sie runter zum Simulator und machen Sie Ihre Arbeit!«
Im Kontrollraum traf ich Stefan Kurz. Im Prinzip hatte er Arbeitszeiten wie jeder andere auch, tatsächlich schien er sich hier unten Tag und Nacht aufzuhalten.
»Das Geschäft blüht.« Er strahlte mich an. Stefan Kurz erweckte stets den Eindruck, als verdiene er an jedem kleinsten Fortschritt des Simulators höchstpersönlich mit. Aber natürlich gab es keine Erfolgsprämien oder Zulagen, und sein Gehalt war kaum halb so hoch wie mein eigenes, nicht gerade fürstliches. »Wir haben die neuen Einheiten integriert. Die Universität ist jetzt online. Vierzig Studenten, fünf Professoren und vier Mitarbeiter beim nichtwissenschaftlichen Personal.« Er rieb sich die Hände. »Es wächst und wächst. Jetzt können die Jungs Soziologie, Psychologie und Jura studieren.«
Auch wenn sich mir auf den ersten Blick nicht erschloss, warum das die wichtigsten Fächer für unsere Simulation waren, wir hatten lange darüber nachgedacht, mit welchen Studiengängen wir starten sollten. Schnell wären es mehr. »Gab es irgendwelche ... Friktionen?«
»Nein, bisher läuft alles glatt. Nur Widersprüche zweiter und dritter Ordnung. Das lässt sich alles umprogrammieren«, er lachte, »oder wegtherapieren.«
»Keine Löschungen?«
»No, sir.«
»Ausgezeichnet.« Obwohl es selten Probleme gab, war ich erleichtert. Das unterschwellige Gefühl, es drohe eine Katastrophe, hatte sich in mir festgesetzt, und ständig erwartete ich, ihre Vorboten zu sehen. »Wie viele passive Einheiten sind neu ins System gekommen?«
»Mehrere Tausend, denke ich. Brauchen Sie die genaue Zahl?«
Ich winkte ab. Eigentlich wusste ich schon alles und fragte nur, um meine Nervosität zu bekämpfen. Wenn die Universität richtig funktionieren sollte, war es natürlich mit vierzig Studenten und fünf Professoren nicht getan. Es gab eine Straßenbahnlinie, die zum Campus führte, ein Parkhaus, und in der Mensa und der Cafeteria sollte es geschäftig zugehen. Auch die meisten anderen Fachbereiche existierten bereits auf dem Papier. Nur waren ihre Studenten keine autonom handelnden Reaktionseinheiten, sondern vom Hauptrechner notdürftig simulierte Komparsen.
»Sie sollten sich das selbst ansehen. Vielleicht fällt Ihnen etwas auf, was mir entgangen ist. Mir persönlich gefällt es auf dem Campus sehr gut.«
Ich fragte mich, wie lange Kurz unten gewesen war. Vielleicht ließ sich sein Arbeitseifer damit erklären. Die Aufenthalte im Simulator bargen offensichtliches Suchtpotential. Ich beschloss, zukünftig auf
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