Der Simulator
wenn ich nicht der Hauptverdächtigte war, zum engeren Kreis gehörte ich durchaus. Das hatte mir der Kommissar trotz aller Freundlichkeit deutlich gemacht. Schließlich war ich einer der Wenigen, der Nutzen aus Blinzles Ableben zog. Die Schlinge um meinen Hals konnte sich enger ziehen, jederzeit.
5 . Kapitel
Es gelang mir, meinen Ausflug in unsere kleine simulierte Welt noch ein paar Tage aufzuschieben. Doch irgendwann gingen mir die Gründe aus, die ich gegenüber Stefan Kurz und den anderen geltend machen konnte. Außerdem war ich selbst über die Abneigung erstaunt, die schon der Gedanke an einen Transfer in mir hervorrief. Lag das an den unerklärlichen Ereignissen der vergangenen Wochen, am Schwindel, der mich nach wie vor regelmäßig heimsuchte, am schwindende Vertrauen in meine eigene Realität, die mir von Tag zu Tag brüchiger erschien?
Ich hatte lange nach einem roten Faden gesucht, der Blinzles Tod, Bogdans Verschwinden und den E-Bus-Anschlag auf meine Person in einen sinnvollen Zusammenhang hätte bringen können. Vielleicht gehörten auch mein Schwindel dazu und die Achilles-Zeichnung, an die ich mich zu erinnern glaubte. Etwas sagte mir, dass alles irgendwie zusammenpasste. Doch was war der Schlüssel, wie konnte eine vernünftige Erklärung aussehen? Und vernünftig hatte sie zu sein, denn ich glaubte nicht an übernatürliche Kräfte oder anderen Hokuspokus.
Je länger ich darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher erschien mir, dass die Gründe in mir selbst lagen. Wenn sich niemand an Bogdan erinnern konnte, dann vermutlich, weil er niemals existiert hatte. Die Gravur auf dem Pokal in der Schwarzen Zigarre , die Personaldatenbank der Sinex AG, die Vermisstenakte der Heidelberger Polizei – wer hätte sich die Mühe machen sollen, all das zu ändern? Und mit welchen Mitteln?
Die naheliegende Erklärung war, dass ich Dinge sah, die es nicht gab, Personen, die niemals existiert hatten, dass ich zufällige Ereignisse fälschlicherweise auf mich bezog, mich verfolgt und bedroht fühlte. Ich war kein Fachmann, aber das klang nach einer schweren psychischen Störung.
Als ich an diesem Tag schließlich den Kontrollraum betrat, war ich sogar ein wenig gespannt, wie ich den Simulator erleben würde, wie sich die vielen Neuerungen auswirken würden, die mein Team implementiert hatte. Nach Trautmanns Besuch hatte Kerstin damit begonnen, Messroutinen für politische Präferenzen in den verschiedenen sozialen Milieus einzurichten. Sie machte das gut. Es war, als habe sie nie etwas anderes getan.
Stefan Kurz empfing mich fröhlich wie immer. Er pfiff vor sich hin und verfolgte amüsiert das Leben irgendwelcher Einheiten, die ihm besonders am Herzen liegen mochten. Für ihn war das Geschehen auf unseren Beobachtungsschirmen spannender als jede TriVid-Sendung.
»Wollen Sie mit dem Avi runter oder sich lieber aufschalten?« fragte er.
Obwohl ich die Arbeit mit dem Avatar persönlich bevorzugte, hatte ich mich schon im Vorfeld für eine Aufschaltung entschieden. Ich brauchte heute Informationen aus erster Hand. »Empathieschaltung«, antwortete ich deshalb.
»Okay, Chef.«
Konnte man sich mit einem Avatar im Simulator frei bewegen, ähnlich wie ein Mensch in unserer eigenen Welt, teilte man mit einer Empathieschaltung die Gefühls-und Gedankenwelt einer simulierten Person. Es war, als sitze man in ihrem Kopf. Man sah, was sie sah, hörte, spürte, roch und schmeckte das Gleiche wie sie. Aber es war mehr als das, auch die Gedanken und Gefühle dieses künstlichen Menschen waren einem in ihrer Gänze zugänglich. Man war diesem Wesen so nah, wie man es sonst keinem anderen war, sich selbst ausgenommen.
Doch diese Art der Verschmelzung barg auch Risiken. Blinzle hatte von der Möglichkeit einer reziproken Transferierung gesprochen. Hierbei ging die Persönlichkeit des Beobachteten auf den Körper des Beobachters über. Theoretisch war es also möglich, dass die von mir beobachtete Reaktionseinheit sich meines Körpers bemächtigte, also zurück in die wirkliche Welt wechselte. Ich selbst bliebe dann im Simulator gefangen. Auch wenn das rein hypothetisch war und sich der Austausch vermutlich wieder rückgängig machen ließ, beunruhigte mich der Gedanke doch. Allerdings war Blinzles Theorie umstritten, und es gab keine Hinweise, eine reziproke Transferierung sei tatsächlich möglich, zumal, laut Blinzle, ein solcher Vorgang nur mit Hilfe hoher Energien möglich sei, Energien, die im Normalbetrieb des
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