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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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weiter, und die Fusion zur Einheitspartei wurde bereits öffentlich und offenbar sehr kontrovers diskutiert. Politiker und Journalisten – ausschließlich mir unbekannte Gesichter – saßen rauchend zusammen, und eine junge, aber überaus fähige Moderatorin hielt sie mit einer Leichtigkeit in Schach, die an eine Dompteuse im Raubtierkäfig erinnerte. Sie war die einzige, die das allgemeine Gequalme zu stören schien.
    Die Diskussion war hitzig, sowohl diesseits als auch jenseits der Bildschirme, denn auch im Letzten Walfisch wurde lautstark polemisiert, hatten sich Grüppchen gebildet, die das Gehörte kommentierten.
    Soweit ich das beurteilen konnte, war der Tenor nicht einheitlich. Während sich die einen von einer grünen Einheitspartei endlich durchgreifende Umweltschutzmaßnahmen erhofften, fürchteten die anderen eine Ökodiktatur.
    Bernie und Gunda waren ebenfalls unterschiedlicher Meinung. Stein lehnte totalitäre Regimes jeglicher Couleur ab – so drückte er sich aus. Gunda ihrerseits schien des jahrzehntelangen Parlamentarismus überdrüssig. »Dieses ewige Gequatsche bringt doch nichts«, sagte sie, was Stein mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm. Politische Themen würden die beiden anscheinend nicht zusammen bringen. Mir war Bernd Stein dagegen sympathischer geworden.
    Offenbar wurde ich unfreiwillig Zeuge von Kerstins neuestem Projekt. Anstatt die Reaktionen der einzelnen Einheiten unabhängig voneinander aufzuzeichnen und auszuwerten, hatte sie angeregt, die simulierten Menschen miteinander über ein strittiges Thema diskutieren zu lassen. Dieses Verfahren war in der realen Marktforschung schon lange als Gruppendiskussion oder, mit Kowalskis Worten, als Creative Focus Group bekannt.
    Das Ganze auf eine Gastwirtschaft zu übertragen, es sozusagen als höhere Form der Stammtischdiskussion zu gestalten, war genial. Ein wenig ärgerte ich mich darüber, nicht informiert worden zu sein. Aber offenbar lief in letzter Zeit einiges an mir vorbei. Auch dass wir schon erste Tests für Trautmann fuhren, war mir nicht bekannt.
    So hätte ich dieser gleichzeitigen Demonstration neuartiger Forschungsmethoden und unbeholfener Annäherungstechniken noch eine Weile beigewohnt, wenn nicht etwas Unvorhergesehenes geschehen wäre.
    Denn plötzlich ereignete sich eine heftige Explosion. Die Druckwelle zerschmetterte die Fensterfront des Letzten Walfischs und fegte Glassplitter, Rauch und allerlei Trümmer ins Innere. Alles schrie, Menschen rannten hinaus, andere warfen sich zu Boden und krochen unter Tische oder hinter die Theke. Erst als sich zeigte, dass niemand ernsthaft verletzt war, ließ das Durcheinander ein wenig nach. Die Bombe, oder was immer es gewesen war, schien nicht in unmittelbarer Nähe explodiert zu sein. Irgendwo auf der Straße oder vielleicht in einem Haus in der Nachbarschaft. Die Folgen waren verheerend. Überall brannten Fahrzeuge, waren Türen und Fenster geborsten.
    Noch waren keine Rettungskräfte in Sicht. Niemand schien zu wissen, was zu tun sei, ob man weitere Anschläge fürchten müsse, ob man drinnen oder draußen besser aufgehoben war. Auch Bernd und Gunda hatten sich aufgerappelt und standen hilflos herum. Mir war der Schreck gehörig in die Glieder gefahren. Gerade eben noch hatte ich darüber spekuliert, welche Folgen ein Unfall für mich hätte. Und jetzt stand ich mitten in einer verwüsteten Kneipe.
    Bernd Stein hatte sich den Staub von seiner Nanofaserjacke geklopft, als er erstaunt zum TriVid-Schirm blickte. Nur einer der Monitore hatte die Explosion überstanden, doch das, was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
    Die Moderatorin war aufgesprungen und zur Kamera gerannt. Aufgrund des 3D-Effektes schien sie geradewegs aus dem Bildschirm zu springen. Sie schrie: »Marc, kommen Sie zurück! Sofort! Marc, hören Sie mich? Kommen Sie sofort zurück!«
    Ohne weiter darüber nachzudenken leitete ich den Transfer ein.
    Zunächst dachte ich, der Rücksprung sei misslungen. Als ich die Augen aufschlug, flackerte das Licht noch genauso wie vorher, und aus der Ferne drang das Leuchten eines Feuers zu mir herüber. Die Luft war rauchgeschwängert, es roch nach verbranntem Kunststoff.
    Stefan Kurz stand neben mir, riss mir die Kontakte vom Leib und brüllte: »Raus! Nichts wie raus!«
    Wir hasteten hinaus, und ich starrte auf die Stelle, wo bis vor kurzem noch die Wand gestanden hatte, die den Transferraum vom Rechner trennte. Durch ein mannhohes Loch drang das Flackern

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