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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Simulators gar nicht zur Verfügung standen.
    »Die gleiche Einheit wie das letzte Mal, Chef?«
    »Ja, ...das heißt, nein, lassen Sie uns das Milieu wechseln«, wir waren mittlerweile im Kontaktraum angelangt. Ich streckte mich auf einer der beiden Liege aus. »Konservativetablierte, Sozialökologische ...«, überlegte ich laut. »Geben Sie mir einen Liberalintellektuellen. Wen würden Sie mir empfehlen?«
    »Hm, Libs, da haben wir einen Haufen von.« Die Liberalintellektuellen gehörten zu den gesellschaftlichen Leitmilieus und waren deshalb überrepräsentiert, »Ja, warum nicht? Sie wollten sich doch den neuen Unibereich ansehen«, er ging zu einem eingelassenen Monitor, der sofort aufleuchtete, als sich seine Hand näherte. »Ich habe die ID leider nicht im Kopf.« Er lachte glucksend. »Langsam werden es zu viele. Ich kann mir nicht mehr alle merken. – Da haben wir ihn schon, LIB1729, junger Psychologie-Prof, liberal, vielseitig interessiert, und grün, aber wer ist das heute nicht?«, er lachte erneut. »Jedenfalls ein Musterexemplar. Ich hoffe, Sie langweilen sich nicht zu Tode.«
    Stefan Kurz’ seltsamer Humor war sprichwörtlich. Ich hatte vor langer Zeit aufgehört, mich darüber zu wundern. »Klingt gut«, sagte ich nur und ließ mich anschließen. »Dann los!«
    Er nahm letzte Einstellungen vor, dann deutete er grinsend einen militärischen Gruß an: »Gute Reise, Chef!«
    Den Übergang als schmerzvoll zu bezeichnen, wäre übertrieben gewesen. Und doch war er auch körperlich zu spüren. Er war wie ein Sprung ins Ungewisse, ein Loslassen, ein kurzes Fallen, ein Wiederaufkommen.
    Unangenehmer als diese Empfindungen war die Orientierungslosigkeit, die damit einherging. Als erwache man in einer völlig fremden Umgebung, musste man zunächst die Eindrücke verarbeiten, die auf einen einstürzten: Geräusche, Lichtblitze, Farben, unzählige Sinnesreize, deren Bedeutung man nicht verstand und erst mühsam erlernen musste. Wie lange das dauerte, war schwer abzuschätzen, vielleicht nur Sekunden, und doch schien die Welt um einen herum nur quälend langsam Gestalt anzunehmen, zu einer halbwegs bekannten Form zu finden.
    Natürlich waren es nicht nur Sinnesempfindungen, die auf mich einströmten. Ich konnte auch die Gedanken und Gefühle meiner Zielperson wahrnehmen. Ich spürte, wie es ihr ging, und ich hörte, was sie dachte. Eine seltsame Erfahrung, an die ich mich mittlerweile gewöhnt hatte, auch wenn ich mir nach wie vor wie ein Eindringling vorkam, wie ein Einbrecher, und wie ein solcher versuchte ich nicht aufzufallen.
    Doch selbst wenn ich gewollt hätte, es wäre mir nicht möglich gewesen, meinen Gastkörper zu steuern, ihm meinen Willen aufzuzwingen. Ich war und blieb ein machtloser Beobachter.
    Bernd Stein war 35 Jahre alt und erst vor kurzem auf eine Professur für Umweltpsychologie berufen worden. Nun ja, die ganze Universität war ja noch recht neu. Er kam aus Berlin, und in seinen Gedanken klang ein Bedauern an, keine bessere Stelle gefunden zu haben. Er machte sich Hoffnungen, in wenigen Jahren an eine renommiertere Universität in irgendeiner Großstadt wechseln zu können, vorzugsweise an der Neuen Freien Universität.
    Ich erwischte ihn, während er auf seinem E-Bike in Richtung Stadt fuhr. Es war schon dunkel, und LIB1729 fuhr schnell. Ich fragte mich, was mit mir selbst geschähe, wenn er verunglückte und beispielsweise bei einem Unfall starb. Hätte ich noch Zeit, in meine eigene Welt zurückzukehren? Hoffentlich hatten wir ein gut funktionierendes Rettungswesen in unsere Simulation eingebaut.
    Doch offenbar waren meine Sorgen unbegründet. Der abendliche Verkehr war mäßig und Bernd Stein ein geübter Radfahrer. Außerdem hatte er es in Berlin mit dichterem Verkehr zu tun gehabt. Seine Erinnerungen daran waren so plastisch, dass ich selbst für einen Moment glaubte, er habe tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt in Berlin gelebt. Das war natürlich Unsinn. Bernd Stein existierte erst seit drei Tagen. Alles, an was er sich erinnerte, war von uns programmiert worden.
    Der Wind pfiff uns um die Ohren, und Stein fror – das heißt wir froren beide, denn ich spürte die Kälte genauso intensiv wie er. Er verfluchte den Herbst und wünschte sich, er hätte heute Morgen etwas Wärmeres angezogen.
    Hin und wieder mussten wir an einer roten Ampel halten. Auch hier unten schienen alle Ampeln auf Rot zu stehen. Wie ich selbst wusste, war das leider notwendig, um eine größere

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