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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Einfahrt bog. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Blinzle jetzt tot war.
    Wenn ich mir von diesem Abend irgendwelche Erkenntnisse erhofft hatte, Informationen über Blinzles Verschwinden, seine Arbeit, über neue, mir unbekannte Fakten, so wurde ich enttäuscht. Obwohl mich Samantha ausführlich nach meinen Erlebnissen im Simulator befragte und sich große Sorgen um mein Wohlergehen zu machen schien, blieb ihr Interesse an einer Aufarbeitung der Ereignisse seltsam gering.
    Während wir aßen und ich Vermutungen anstellte und nach Zusammenhängen suchte, schien sie abwesend. Mehr als einmal ertappte ich sie dabei, dass sie nicht zuhörte. Sie schien woanders zu sein, in geistigen Sphären zu schweben, die sie nicht mit mir zu teilen gedachte, und wenn sie sprach, dann klang alles, was sie sagte, grundsätzlich und schwer.
    »Was ist los mit dir, Sam?« fragte ich sie schließlich.
    »Es ist alles in Ordnung«, sie lächelte schwach. »Ich habe Angst, ich mache mir Sorgen, aber das ist nicht verwunderlich, nach allem was geschehen ist.« Dann legte sie ihre Hand auf meinen Arm. »Ich mache mir Sorgen um dich.«
    Dass auch sie sich um mich sorgte, beruhigte mich nicht gerade.
    »Aber vor allem bin ich froh, dass ich dich wiedergefunden habe. Dass du jetzt da bist, wo ich dich brauche. Nachdem Papa...«
    Norbert Blinzle und sie hatten eine sehr enge Beziehung gehabt. Es musste schwer für sie sein. Noch viel schwerer als für mich.
    Wir waren mit dem Essen fertig, und ich wollte mir Blinzles Unterlagen noch einmal ansehen. Ohne große Begeisterung begleitete sie mich in sein Büro.
    »Es ist nichts Interessantes dabei, glaub mir. Ich habe alles hundert Mal durchgesehen.« Sie setzte sich in Blinzles Schaukelstuhl. Dort hatte er gerne gewippt und gelesen. »Papier. Es ist nur Papier.«
    Auf mich machte sie einen niedergeschlagenen Eindruck. Während ich Blinzles Vermächtnis noch einmal sichtete, beobachtete ich sie aus den Augenwinkeln. Sie blickte zu Boden, ihre Augen glitzerten im Licht, als seien sie mit Tränen gefüllt.
    War ich bisher daran gewöhnt gewesen, sie als Blinzles Tochter zu betrachten, als das kleine Mädchen, das sie war, kam ich jetzt nicht umhin, sie als Frau zu sehen. So verletzlich sie auch schien, sie war unübersehbar erwachsen geworden. Frauen hatten in meinem bisherigen Leben keine große Rolle gespielt, an diesem Abend bedauerte ich das zum ersten Mal.
    »Du hattest recht«, sagte ich, nachdem ich mir Blinzles Schreibtisch vorgenommen hatte. »Es gibt nichts, was ich nicht schon kenne. Und doch fehlt etwas.«
    »Vater hat in den Wochen vor seinem Tod manches verbrannt.« Sie deutete auf den kalten Kamin im Hintergrund. »Verbrannt und gelöscht. Auch die Holokristalle hat er vernichtet.«
    Im Papierkorb fand ich eine Handvoll Krümel, weiß und zerstoßen wie grobes Salz.
    »Vielleicht kann man einen Teil der Information wieder herstellen.« Die Bruchstücke waren klein, aber ausgeschlossen schien es mir nicht.
    Sie stand auf. »Warum lassen wir es nicht einfach gut sein?« Sie kam auf mich zu und umarmte mich. Ihr Kopf lag auf meiner Schulter. »Lassen wir ihn doch einfach ruhen.«
    »Willst du nicht wissen, warum er gestorben ist?«
    Sie hob den Kopf, Tränen liefen ihr über das Gesicht. »Ich kann nicht mehr, Marc. Wir sollten damit aufhören. Du solltest damit aufhören. Ich möchte nicht, dass auch dir etwas zustößt.«
    Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie mir etwas verschwieg. Versuchte sie mich zu warnen oder war sie einfach mit den Nerven fertig? Letzteres wäre nicht verwunderlich gewesen.
    »Dein Vater hat an einem Buch gearbeitet, an einem Standwerk über die Simulatorik. Wo ist das Manuskript? Wo sind seine Aufzeichnungen?«
    »Marc, du warst nicht da, du weißt nicht, wie er war, wie es ihm in den letzten Wochen vor seinem Tod ging. Er war völlig verwandelt. Seine Theorien bedeuteten ihm nichts mehr. Standardwerk der Simulatorik? Er nannte es, mein dummes Buch. Dumm! Verstehst du?« Sie zeigte auf die Krümel. »Da hast du sein Standardwerk.«
    Ich war erschüttert. Wenn Blinzle tatsächlich alles vernichtet hatte, dann würde das unsere junge Wissenschaft um Jahre zurückwerfen. »Und du hast ihn nicht daran gehindert?«
    »Marc, was hätte ich denn tun sollen?« Sie seufzte. »Er machte mir Angst, nur Angst. Er war so launisch geworden, so unberechenbar.«
    Ich dachte an Docs Theorie der seelischen Überlastung. Vieles sprach dafür, dass Blinzle psychisch

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