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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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schwer angeschlagen gewesen war. Depressiv vielleicht oder genauso paranoid wie ich.
    »Und doch...«
    »Marc, Marc...« Samantha weinte jetzt nicht mehr. Sie schien sich gefangen zu haben. »Das Leben ist doch schön, nicht wahr? Es ist doch lebenswert, trotz allem. Sollten wir uns nicht damit begnügen? Sollten wir nicht das kleine bisschen Glück festhalten, das es bietet?« Sie lächelte jetzt sogar.
    Ich verstand nicht, worauf sie hinaus wollte. Aber was sie sagte, passte zu ihrer philosophischen Grundstimmung an diesem Abend. Die großen Fragen schienen sie zu bewegen, die großen Fragen und die Suche nach dem kleinen Glück.
    »Du solltest jetzt gehen«, sagte sie schließlich. »Wir sehen uns bald wieder. Das verspreche ich dir. Und denk bitte an meine Worte. Ich könnte es nicht ertragen, dich auch zu verlieren.« Sie küsste mich zum Abschied.
    Der Vollmond stand hoch, als ich wieder ins Auto stieg. Aufgewühlt, wie ich war, konnte ich jetzt nicht nach Hause zurück. Ich fuhr an verlassenen Einfamilienhäusern vorbei zum Ortsausgang und dann nach Norden hinein in den Odenwald.
    Obwohl es kaum 22 Uhr war, lagen die Straßen wie ausgestorben vor mir. Ich begegnete niemandem, keinem Auto, keinem Fußgänger, nicht einmal einem E-Bike. So fuhr ich von einem menschenleeren Dorf zum nächsten, dazwischen enge, holprige Straßen, die sich durch die mondbeschienene Landschaft schlängelten.
    Da ich die Navigationsführung abgeschaltet hatte, wusste ich schon bald nicht mehr, wo ich war. Verkehrszeichen gab es ja keine mehr, und die Lichtfinger meiner Scheinwerfer erfassten nur den Mittelstreifen und die Katzenaugen am Straßenrand.
    Es gab nur noch von mondglänzenden Feldern bedeckte Hügel, einsame Baumgruppen am Wegesrand und dichte Wäldchen, dort wo die Hänge steil in die Täler fielen.
    Aus einer solchen Senke kommend, fuhr ich den nächsten Hügel hinauf. Das Summen des Generators verstärkte sich, als ich das Fernlicht einschaltete. Noch eine Kurve und ich war auf der Kuppe. Gerade wollte ich in die Abfahrt hinein beschleunigen, als ich das Auto aus voller Fahrt stoppte. Wir standen schon nach wenigen Metern, und ich blickte fassungslos ins Tal, dorthin, wo das Tal hätte sein sollen.
    Wenige Meter vor mir hörte die Straße auf. Als hätte man die Landschaft mit einem Messer durchschnitten, begann hinter dieser imaginären Grenze eine undurchdringliche Dunkelheit.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dasaß und hinausstarrte, wie lange ich versuchte zu verstehen.
    Da draußen gab es keine Sterne, kein Mondlicht – nur das Nichts im Nichts, das man jenseits der dunkelsten Unendlichkeit finden mochte.
    Ja, genauso war es.
    Plötzlich kippte die Welt zur Seite. Ich krallte mich in meinen Sitz und schloss die Augen. Als habe die Schwerkraft all ihre Wirkung verloren, meinte ich, mich um meine eigene Achse zu drehen, zu überschlagen, ohne Richtung in einem gestaltlosen Raum umherzutorkeln. Mit aller Kraft hielt ich mich fest, meine Muskeln zum Zerreißen angespannt.
    Einer meiner Schwindelanfälle, mehr nicht. Doch so häufig sie mich überkamen, so wenig gewöhnte ich mich an sie. Jedes Mal brachen sie mit ungeheurer Wucht über mich herein. Als sei ein Damm gebrochen, wirbelte mich eine gewaltige Woge durch die Luft einem unbekannten Ziel entgegen. So kam es mir vor, obwohl ich mich keinen Zentimeter bewegte.
    Genauso plötzlich, wie er begonnen hatte, war der Anfall vorüber. Schwer atmend blieb ich noch eine Weile mit geschlossenen Augen sitzen. Als ich sie dann öffnete, war die Straße wieder da. Sie folgte dem Zaun einer Weide hinab, um in den Wald zu münden. Eine im Mondlicht silbrig scheinende Landschaft, in der nichts fehlte. Nicht das kleinste Stück.

6 . Kapitel
    Als am nächsten Tag das rote Lämpchen auf meinem Interface aufleuchtete, grübelte ich gerade über den Vorfall.
    Es verschwanden Dinge und Menschen, manche blieben verschwunden, andere kamen zurück. Oder war es vielmehr so, dass das, was verschwunden war, niemals existiert hatte, und das, was wieder da war, niemals verschwunden war?
    Beeinflussten meine Anfälle meine Wahrnehmung? Waren die Wahrnehmungsstörungen die Folge der Anfälle oder kündigten sie diese an? In der gestrigen Nacht war zuerst die Straße verschwunden, dann erst war mir schwindlig geworden. So viel stand fest. Wie war es aber an dem Abend gewesen, als Bogdan verschwand? Ich konnte mich an keinen Schwindelanfall erinnern, weder vorher noch nachher.
    Kowalski wollte

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