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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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warm war, ohne heiß zu sein, empfing uns das Wasser optimal temperiert. Sicherlich war es möglich, solche Kleinigkeiten auch individuell einzustellen.
    Irgendwann fanden wir uns auf einer Matte wieder. Einige Palmwedel spendeten Schatten. In einem silbernen Sektkühler lag eine Flasche Champagner auf Eis. Es war ein Dom Pérignon Jahrgang 1949, dem vielleicht besten Jahrgang aller Zeiten. Natürlich konnte man eine solche Flasche nirgendwo mehr kaufen, und ich bezweifelte, dass man die geschmacklichen Besonderheiten dieses Ausnahmechampagners hinreichend genau programmieren konnte.
    Doch das sollte mich heute nicht stören. Ich schenkte uns ein, und wir nippten daran. Er war gut, verdammt gut.
    Kerstin-2 lag auf dem Rücken, ihre Brust hob uns senkte sich regelmäßig. Ich beobachtete einen Schweißtropfen, der langsam an ihrer Seite herunterlief. Sie nahm meine Hand und zog mich zu sich herunter. Wir küssten uns. Auch dieser Eindruck erschien mir realistisch. Ihre Zunge war warm, und ihr Speichel schmeckte, als habe sie sich gerade die Zähne geputzt.
    Wir küssten uns lange, und ich spürte, wie sie immer erregter wurde. Irgendwann versuchte sie mir meine Badehose abzustreifen.
    »Warte!« Ich setzte mich auf.
    Auch sie stützte sich auf die Hände. »Was ist los mit dir? Gefalle ich dir nicht?«
    »Doch, natürlich gefällst du mir. Es ist nur...«
    »Was?« Ihr Gesicht war hart geworden.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
    Irgendetwas hinderte mich daran, das zu tun, was man von mir in dieser Situation naheliegender Weise erwartete. War es die Künstlichkeit der Situation, die ich nicht aus dem Kopf bekam? Die falsche Kerstin, die mir so fremd erschien? Oder die echte, mit der ich mir einen Beischlaf, ob virtuell oder real, nicht vorstellen konnte? Auch Samantha ging mir durch den Kopf, vielleicht lenkte sie mich am meisten ab.
    »Komm schon, Marc«, Kerstin-2 hing an meinem Hals, »wir haben nicht mehr viel Zeit.«
    Ich ließ mich hinunterziehen, guten Willens, die Sache zu Ende zu bringen. Doch schlagartig wurde es dunkel.
    Als ich die Augen aufschlug, lag ich auf meiner Liege in der Kabine. Ein Techniker kam herein und studierte die Anzeigen.
    »Ich kann mir das nicht erklären«, sagte er. »Irgendetwas hat Sie zurückgeworfen, und dann wurde auch Ihre Begleiterin transferiert. Das sehen die Sicherheitsvorschriften vor. Aber im Grunde haben Sie noch zwanzig Minuten. Wenn Sie also wollen...«
    Ich sah zu Kerstin hinüber, die sich benommen erhoben hatte. »Nein, vielen Dank, das war ganz wunderbar.« Zu mir sagte sie: »Komm, lass uns gehen.«
    Draußen war es kalt, und die nächtlichen Straßen, die Häuser erschienen wir unwirklich. »Ich habe es wohl vermasselt.«
    Kerstin drückte meine Hand. »Nein, Marc, es war schön. Wirklich! Es ist eben nicht jedermanns Sache. Manche entwickeln einen inneren Widerstand, und fliegen dann einfach raus. Es ist eine Kunstwelt...« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu. »Aber niemand hindert uns daran... Ich meine, wir brauchen keine Blaue Lagune , um uns zu amüsieren.«
    Schweigend gingen wir zum S-Bahnhof. Zum Abschied küsste ich sie auf den Mund. Sie tat mir leid.

8 . Kapitel
    In den nächsten Tagen ging es mir so gut wie schon lange nicht mehr.
    Ich hatte lange über Doc Schmitts Theorie der exogenen Psychose nachgedacht. Hatte ich ihn recht verstanden, brachte die Macht, die ich im Simulator hatte, ein Wechselbad der Gefühle mit sich. War da zum einen die narzisstische Selbstbestätigung, eine Art Gott zu sein, wurde diese von nagenden Schuldgefühlen abgelöst, wenn wir wieder einmal vor der schweren Entscheidung standen, Reaktionseinheiten umzuprogrammieren oder gar zu löschen. Wir schufen Leben und nahmen es, wir bauten und zerstörten.
    Je ernster ich die Geschöpfe nahm, die ich schuf, umso größer waren die Gewissensbisse, die ich empfand, wenn ich ihnen etwas antun musste. Vielleicht hatte Stefan Kurz sich deshalb diese saloppe Ausdrucksweise angewöhnt. Mehr als einmal war mir aufgefallen, wie abwertend er von den REs sprach, wie er sich über sie und ihr kleines Leben lustig machte. Erleichterten sich nicht auch Bestattungsunternehmer mit allerlei Blödeleien ihre wenig lustige Arbeit? Vermutlich war das eine Form der psychischen Abwehr.
    Auch ich brauchte mehr Distanz. Die Reaktionseinheiten waren seelenlose elektronische Programme. Die scheinbare Selbständigkeit, die sie entwickelten, blieb in den engen Grenzen ihrer

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