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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Programmierung. Und auch die Gefühle, die sie zeigten, waren nur ein bedauernswerter Abklatsch echter emotionaler Prozesse. Keine Hormone wurde ausgeschüttet und auch keine Enzyme, es gab keine Gehirnzentren, die aktiviert wurden und kein lymbisches System. Nur winzige Stromspannungen, die sich in nanometergroßen Schaltungen veränderten.
    Doch, obwohl ich mich redlich mühte, es gelang mir nicht ganz, diese Sicht des Simulators und seiner Bewohner, so richtig sie auch war, zu verinnerlichen. Manchmal befielen mich Zweifel, manchmal fragte ich mich, ob man nicht auch uns Menschen so sehen könnte, ob wir nicht ebenfalls nur eine Sammlung elektrochemischer Prozesse waren. Ob nicht unsere Gefühle genauso begrenzt waren wie die Handlungsfreiheit, von der wir so viel hielten.
    Wenn ich so ins Grübeln kam, versuchte ich diese Gedanken abzuschütteln. Dann dachte ich an Samantha, die real war, an mein Erlebnis mit Kerstin-2. War das der Unterschied?
    Glücklicherweise hatte der misslungene Ausflug zur Blauen Lagune das Verhältnis zwischen Kerstin und mir nicht belastet. Sie sah mich zwar manchmal seltsam an, wenn wir uns begegneten, der Umgangston zwischen uns blieb aber freundlich und kollegial. Ich hatte mich am nächsten Tag erneut entschuldigt, und sie war mit einer ironischen Bemerkung darüber hinweggegangen.
    Als schließlich der Tag der offiziellen Einweihung des Simulators anbrach, meinte ich, mein Leben wieder im Griff zu haben. Natürlich gab es noch die Interviewer, die vor dem Haupteingang demonstrierten, und auch Trautmann und seine Partei mochten weiterhin im Verborgenen ihr Unwesen treiben, doch das alles erschien mir nicht mehr so bedrohlich. Früher oder später fände sich auch dafür eine Lösung.
    Tatsächlich schien dieser Tag zunächst meine Hoffnungen zu erfüllen.
    Es fing damit an, dass Kowalski mich zu sich rief. Das Verbot der traditionellen, Interviewer gestützten Marktforschung ließ sich offenbar doch nicht so leicht in die Tat umsetzen, wie ursprünglich angenommen, gab er mir zu verstehen. Trautmann hatte signalisiert, dass die großen Interviewerverbände an Boden gewonnen hatten. Das Arbeitsplatzargument wog schwer in der öffentlichen Meinung. Hatte es vorher zum guten Ton gehört, sich über die allerorts herumlungernden Interviewer zu mokieren und die ständige Belästigung zu beklagen, mochte man sich jetzt nur ungern Arbeitslosenheere und wirtschaftliche Depression vorstellen.
    Wir müssten langsamer vorgehen, sagte Kowalski, unsere Zeit käme, käme früher oder später, da sei er sich gewiss, aber bis dahin brauche man Übergangslösungen. Das sei ja schon seit jeher seine Meinung gewesen.
    Auf jeden Fall müssten wir wieder in die Offensive gehen, eröffnete er mir. Und ich sei die zentrale Figur in dieser Offensive.
    So erfuhr ich, dass mir bei der bevorstehenden Pressekonferenz eine tragende Rolle zugedacht war, eine Ankündigung, die mich zunächst verunsicherte.
    Es war eben nicht Kowalskis Art, einen frühzeitig einzuweihen, geschweige denn, um seine Meinung zu fragen oder gar zu bitten. Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens willigte ich aber ein. Ein paar Fragen zum Simulator zu beantworten fiel mir gewiss nicht schwer.
    Ich war mir allerdings nicht sicher, ob ich die politischen Zwischentöne in Kowalskis Sinne träfe. Doch dieser beruhigte mich. Offenbar war gerade meine zu erwartende Unbeholfenheit sein größter Trumpf. Eine ausgefeilte, diplomatische, eines Politikers würdige Rede hätte nur halb so viel Überzeugungskraft wie die ehrlichen Worte eines Machers, seien sie noch so dahingestammelt. So drückte sich Kowalski aus.
    Doch das war natürlich nicht alles. Wir saßen bereits auf dem Podium, als er mir zuflüsterte. »Sie werden sehen, Marc, was ich jetzt verkünden werde, schlägt ein wie eine Bombe. Und ich verspreche Ihnen, das wird ganz in Ihrem Sinne sein.« Er deutete mit dem Kopf in den überfüllten Raum. »Im Gegenzug erzählen Sie denen, welche Wohltaten wir mit dem Simulator vollbringen werden.«
    Auf einen regelrechten Vortrag war ich ganz und gar nicht vorbereitet, und mir wurde angst und bange. Ich war noch nie ein guter Redner gewesen. Selbst vor einem harmlosen Referat an der Universität hatte ich mich gerne gedrückt. Vermutlich würde sich Kowalskis Prophezeiung mit dem Stammeln also bewahrheiten.
    Und dann ließ Kowalski die Bombe hochgehen. Er gedenke, den Simulator in eine Stiftung einzubringen, eine Stiftung, die er mit einer

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