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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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holen.«
    Das war alles? Glaubte er tatsächlich, ich wäre in seinem Büro aufgetaucht, um ihn wegen meinem Nachfolger zur Rede zu stellen? In Anbetracht der unfassbaren Wahrheit, die ich erfahren hatte, war das so lächerlich, so kleinlich, dass mir die Worte fehlten.
    Und jetzt erkannte ich meinen Fehler. Ein Mann, der so machthungrig wie Kowalski war, für den materieller Erfolg die bestimmende Triebfeder blieb und der sich mit allen Mitteln politischen Einfluss verschaffen wollte, konnte nicht die Kontakteinheit sein. Niemand, der das Wissen um seine simulierte Existenz hatte, seiner eigenen und aller Dinge, würde nach wertlosem irdischem Besitz streben, nach oberflächlicher Bewunderung, nach sinnloser Selbstbestätigung. Nein, Kowalski war so sehr von dieser Welt, wie man es überhaupt sein konnte. Kein Zweifel trübte sein Denken, nichts stellte infrage, was er tat.
    Versteinert stand ich vor ihm, als er erneut auf mich zuging. »Aber ich gebe Ihnen recht, Marc. Ich hätte Sie einweihen sollen. Wir hätten zusammen entscheiden sollen, was zu tun sei, wie man die Risiken für Ihr Werk in den Griff bekommt. Und dafür möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen.« Er drehte sich um und ging ein paar Schritte. »Aber es ist, wie es ist. Fassbender ist jetzt da. Und ich finde, er macht seine Arbeit gut – von diesem kleinen Zwischenfall mal abgesehen. Ich möchte, dass Sie ihn nach besten Kräften unterstützen.«
    Das Blatt hatte sich gewendet. Ich war in die Defensive geraten, ohne zu wissen, was mir den Wind aus den Segeln genommen hatte. Seine entwaffnende Ehrlichkeit vielleicht, die Selbstverständlichkeit, mit der er zu seinen Entscheidungen stand, so moralisch fragwürdig sie anderen auch erschienen. Er war stets davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben, und nichts und niemand konnten ihn davon abbringen.
    »Noch was, Marc, lassen Sie ihn nicht noch einmal auflaufen. Sie und Stefan Kurz. Fassbender ist unerfahren, das stimmt, aber wenn Sie ihn richtig eingewiesen hätten, wäre dieses Malheur gar nicht erst passiert.«
    Jetzt war ich auch noch für den reziproken Transfer verantwortlich, selbst Kurz warf er vor, dass er sich um ein Haar selbst ins Jenseits befördert hätte.
    Doch das alles interessierte mich nicht mehr. Angesichts der Tatsache, dass unsere Welt nur eine leere Luftblase war, schrumpften alle anderen Probleme, alle Ungerechtigkeiten und Kränkungen zu einem unbedeutenden Nichts. Sollte Kowalski doch denken, was er wollte, sollte Fassbender nach meinem Posten trachten und mich und meine Arbeit sabotieren. Ich musste die Kontakteinheit suchen. Mir blieb nur sehr wenig Zeit. Alles andere war gleichgültig. Ohne ein weiteres Wort verließ ich Kowalskis Büro.
    Später sollte Kowalski behaupten, er hätte mich selbst informieren wollen, hätte mir selbst die zugegebenermaßen unerfreuliche Neuigkeit mitteilen wollen. Mein überstürzter Aufbruch hätte ihm das jedoch unmöglich gemacht. Wieder einmal war ich also selbst schuld.
    Die Überraschung erwartete mich in meinem Büro in Gestalt Ralf Fassbenders. Doch es war weniger die Person selbst, die mich aus der Fassung brachte. Er saß auf meinem Stuhl an meinen Schreibtisch und starrte auf meinem Bildschirm.
    »Ach, Marc, ich wollte dich gerade rufen«, empfing er mich.
    »Was in aller Welt hast du hier zu suchen?«
    Er hob eine Hand und betrachtete den Monitor mit offenbar höchster Konzentration. »Warte einen Augenblick, ich bin gleich soweit.«
    Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre auf ihn losgegangen. Mühsam beherrschte ich mich. »Verschwinde aus meinem Büro, sonst vergesse ich mich.«
    Er hob die Augen und sah mich erstaunt an. »Deinem Büro?« Er zeigte zur Tür. »Wenn du die Liebenswürdigkeit hättest, die Anzeige auf dem Gang zu lesen, bevor du haltlose Anschuldigungen von dir gibst. Es könnte mich kränken.«
    Ich ging tatsächlich hinaus, obwohl es lächerlich war. Unmöglich konnte ich mich in der Tür geirrt haben. Auch wenn ich niemand war, der seinen Arbeitsplatz mit allerlei persönlichen Gegenständen drapierte, mein Büro hätte ich im Schlaf wiedererkannt.
    Die kleine Anzeigetafel hing auf Augenhöhe neben der Tür und w ar unauffällig. Doch die Schrift war deutlich zu lesen: »Zimmer 708: Dr. Ralf Fassbender – Leitung Simulation«.
    Für einen Augenblick dachte ich an ein Versehen, doch Zimmer 708 war tatsächlich mein Zimmer − oder war es bis vor kurzem gewesen. Ich stürmte wieder hinein: »Was hat das

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