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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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diese Informationen vertraulich behandeln. Wenn etwas davon an die Öffentlichkeit dringt, reißt dir Kowalski den Arsch auf.«
    Wenn er gewusst hätte, wie gleichgültig mir das war, hätte er nicht so zufrieden geschaut.
    Nachdenklich fuhr ich zu meinem neuen Büro im Keller hinunter. Offenbar konnte ich sowohl Kowalski als auch Ralf von meiner Liste der Verdächtigen streichen. Weder der eine noch der andere war die Kontakteinheit. Auch wenn beide eine Reihe von Geheimnissen zu verbergen schienen – vermutlich käme davon noch einiges mehr zum Vorschein, bohrte ich weiter – in einer wie auch immer gearteten Verbindung zur höheren Wirklichkeit standen sie nicht. Sie waren ahnungslos.
    Was mich fast mehr erstaunte, war die Wirkung meiner Worte. Vielleicht konnte man zu einer x-beliebigen Person gehen und sie mit einem überzeugenden Ich-weiß-Bescheid zu einem Geständnis zwingen. Jeder schien Dreck am Stecken zu haben. Doch leider interessierte ich mich weder für schmutzige Wäsche noch für Leichen im Keller.

12 . Kapitel
    Worin unterschied sich eine simulierte Welt von einer vermeintlich wirklichen? Was war Materie anderes als eine Vielzahl elektrischer Ladungen? Bestanden nicht alle Atome aus winzigen elektrisch geladenen Teilchen?
    Auch unser Gehirn funktionierte nur als riesige Schaltzentrale, in der abermilliarden Neuronen mit unzähligen anderen verbunden waren. Ein Gedanke war nur eine Kaskade elektrischer Impulse, jede Erinnerung nur die Veränderung der Durchlässigkeit synaptischer Spalten.
    Wenn man genauer hinsah, löste sich jede Wirklichkeit auf. Das hatten die Philosophen mancher Epoche ihren Mitmenschen gesagt. Seltsam, wie wirkungslos dieses Wissen geblieben war. Seltsam, angesichts der ungeheuren Brisanz, die diese Erkenntnis hätte haben müssen. Nun stand ich vor dieser Einsicht, wie vor einem Abgrund, meinte bereits zu fallen, einem unbekannten Ziel entgegen.
    Letztlich war es gleichgültig, ob die Wirklichkeit aus Atomen oder aus elektrischen Impulsen bestand, aus chemischen Prozessen oder den Schaltvorgängen miniaturisierter Transistoren. Entscheidend schien mir plötzlich eine ganz andere Frage zu sein. Inwieweit waren wir frei zu entscheiden, zu handeln. Inwieweit war unser Tun vorherbestimmt?
    Ich dachte an unsere Reaktionseinheiten. Waren sie frei? Wie sehr wurden sie von ihrer Programmierung bestimmt? Was lag wirklich in ihrem Ermessen, was folgte den Vorgaben Ihres Programms? So ähnlich musste es auch um uns selbst bestellt sein. Vielleicht bot unsere simulierte Wirklichkeit ein größeres Ausmaß an Freiheit. Je komplexer ein System war, umso wichtiger wurden Mechanismen der Selbstregulation. Insofern war die Freiheit eines einzelnen Systembausteins nichts als die Notwendigkeit einer Stabilisierung – wenig mehr als ein Kreisel, der um die eigene Achse rotiert, um nicht umzufallen.
    Das waren die Fragen gewesen, die mich den ganzen Abend über beschäftigt hatten. Das Wissen um unsere simulierte Wirklichkeit drohte mich zu erdrücken. Verzweifelt suchte ich einen Ausweg, einen tröstenden Gedanken, eine philosophische Lösung, so als könne eine andere Sicht auf die Dinge ihnen ihren Sinn zurückgeben, eine neue Bedeutung schaffen, an der ich mich hätte festhalten können.
    Irgendwann schlief ich ein. Unruhig wälzte ich mich im Bett hin und her. Ich träumte, und meine Träume verdoppelten die Wirklichkeit, fügten ihr eine weitere Ebene hinzu. Und im Traum irrte ich durch die verschiedenen Welten, den simulierten, den geträumten, auf der Suche nach einer Tür in die Wirklichkeit. Doch ich fand sie nicht.
    Am nächsten Morgen fühlte ich mich zerschlagen. Ohne Frühstück fuhr ich ins Büro. Auf dem Weg nach oben fiel mir ein, dass Ralf jetzt auf meinem Stuhl saß und ich in den Keller musste.
    Mein neues Domizil war um einiges größer als mein altes. Aber natürlich gab es hier unten keine Fenster. Dafür nahm ein großer Bildschirm fast eine ganze Wand ein. Ich suchte eine Weile, bis ich die Aussicht auf einen Palmenstrand fand, drehte das Meer etwas lauter und setzte mich.
    Ich lauschte dem Rauschen der Wellen, wartete darauf, dass es sich wiederholte, so als sei eine Wiederholung der eindeutige Beweis für dessen Künstlichkeit. Doch das Geräusch wiederholte sich nicht. Ich schloss die Augen, und für einen kurzen Moment vergaß ich, dass auch die Wellen, ihr stetiges Anbranden am leuchtendweißen Strand, nur das Ergebnis einer Iteration waren, einer komplizierten

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