Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
Vom Netzwerk:
aufschreckte.
    Es klang wie ein Prasseln und kam von oben. Als ich aufblickte, sah ich die ersten Ziegelsteine vom Dach stürzen. Der Kamin war in sich zusammengefallen. Geborstene Ziegel und Mauerwerk rollten über die Regenrinne genau auf mich zu. Obwohl ich blitzschnell zur Seite sprang, wurde ich von einigen Brocken getroffen und zu Boden geschleudert.
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich unter einem Haufen Schutt. Staub stand in der Luft und stach mir in die Nase. Vorsichtig bewegte ich mich. Obwohl mir alles wehtat, schien nichts gebrochen zu sein. Ich stand auf. Noch während ich mich erhob, spürte ich die Folgen einer Empathieschaltung. Jemand war in meinem Kopf eingedrungen. Ein Jemand, der sich über mich lustig zu machen schien. Denn ich meinte, ein dröhnendes Lachen zu hören, ein Lachen, das nicht aufhören wollte und lange in mir nachhallte.
    Der große Steuermann spielte mit mir. Plötzlich war ich mir sicher, dass diese körperlich sehr unangenehmen, ja, schmerzhaften Empathieschaltungen kein Versehen waren, nicht Ausdruck technischer Mängel oder zufälliger Phasenverschiebungen. Die höheren Wesen waren sicherlich genauso wie wir dazu in der Lage, sich auf Reaktionseinheiten unbemerkt aufzuschalten. Wenn man es bei mir nicht tat, dann absichtlich. Vermutlich machte es dem großen Steuermann Spaß, mich zu verunsichern, mich zu quälen, seine Macht an mir zu demonstrieren. Und vermutlich war es ihm ein Leichtes, mich tatsächlich zu töten.
    Während ich noch gegen den Schwindel ankämpfte, hatte ich eine Idee. Wie in unserer eigenen Simulation war die Empathieschaltung keine Einbahnstraße. So wie er in mich hineinsehen konnte, spürte ich auch ihn. Nicht so deutlich wie er das konnte, aber die Tatsache, dass ich seine Belustigung zu spüren meinte, bewies, dass er die reziproke Kopplung zugelassen, die sonst übliche Sperre ein kleines Stück gelockert hatte. Das reichte sicherlich nicht für einen reziproken Transfer, aber ich konnte die Gunst der Stunde nutzen, um mehr über meinen Widersacher in Erfahrung zu bringen.
    Ich startete meinen Angriff so ansatzlos wie möglich, konzentrierte mich auf dieses Etwas in meinem Kopf, um es beherzt anzuspringen. Tatsächlich überraschte ich ihn. Er zuckte zurück, und sofort schloss sich der Kanal. Doch für diesen kurzen Augenblick konnte ich ihn sehen, spüren vielmehr, schemenhaft erkennen. Und was ich sah, verunsicherte mich zutiefst. Es war als blickte ich in einen Spiegel. Ich sah mich selbst.
    Dann war es vorbei. Die Empathieschaltung wurde gelöst, der Druck in meinem Kopf verschwand, die Welt um mich herum wurde wieder stabil und verlässlich, so verlässlich, wie es eine künstliche Welt eben sein konnte.
    Ein starker Wind war aufgekommen, ein Sturm, der durch die Bäume pfiff und an Fenster und Türen rüttelte. Vielleicht hatte der Sturm den Kamin zum Einsturz gebracht.
    Ich hörte die Bäume hinter mir ächzen, hörte, wie Zweige abbrachen, große Äste abgerissen wurden und mit einem dumpfen Geräusch auf den weichen Waldboden fielen.
    Als hätte es dieses Beweises bedurft, wurde mir klar, dass ich hier nicht mehr sicher war. Zu viel konnte mir in der menschenleeren Natur zustoßen. Abgesehen von irgendwelchen wilden Tieren, die mich anfallen mochten, gab es jede Menge mehr oder weniger natürlicher Phänomene, die meinem Leben ein Ende bereiten konnten. Umfallende Bäume, einstürzende Häuser, Blitzeinschläge, Schlammlawinen, und vielleicht tat sich einfach nur die Erde auf und verschluckte mich.
    Hier in der Einsamkeit musste nicht einmal der Anschein von Logik und Folgerichtigkeit aufrechterhalten werden. Selbst die Naturgesetze konnte man getrost aussetzen. Es gab niemanden, der sich gewundert hätte, der Zeuge einer Inkonsistenz geworden wäre und reprogrammiert hätte werden müssen. Wie hätte man sich auch erklären können, mitten in den Schweizer Alpen liefe ein leibhaftiger bengalischer Tiger frei herum?
    Ich suchte schnell meine Sachen zusammen und stieg ins Auto. Samanthas Wagen mit der zerschossenen Seitentür stand noch immer daneben. Doch sie brauchte ihn nicht. Sie konnte kommen und gehen, wie sie wollte. Sie konnte an jeder beliebigen Stelle unseres Universums materialisieren.
    Es brauchte nicht lange, bis ich meinen erneuten Denkfehler bemerkte. Ein Auto war nicht sicherer als ein Haus, eine menschenleere Landstraße nicht weniger tückisch als ein einsamer Wald.
    Ich war erst wenige Minuten unterwegs, als es

Weitere Kostenlose Bücher