Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
Vom Netzwerk:
hatte sich das Problem ergeben, dass viele der simulierten Reaktionseinheiten, der Menschen – wir – an einem unerklärlichen Realitätsverlust litten. Sinnkrisen breiteten sich aus, Depressionen.
    »Wir mussten etwas tun, verstehst du? Es war sonst nur eine Frage der Zeit, bis noch mehr von euch an eurer Welt zweifelten.«
    Das war zweifellos eine interessante philosophische Frage, und ich hätte gerne gewusst, was sich die Psychosimulatoriker in dieser Hinsicht einfallen ließen, aber noch mehr interessierte mich, wie es mit ihr und dem großen Steuermann weitergegangen war.
    Ihr Gesicht verdunkelte sich, als sie antwortete. »Er hat sich im Lauf der Jahre verändert, zuerst langsam, dann immer schneller. Er wurde zynisch, er wurde jähzornig, er wurde...«, sie schlug die Augen nieder, »sadistisch.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich glaube, es ist tatsächlich die Macht, diese unumschränkte Macht über Leben und Tod. Dein alter Lehrer hatte recht – natürlich haben wir ihm die Worte in den Mund gelegt – aber so verhielt es sich tatsächlich. Es ist schwer, mit dieser Allmacht fertig zu werden, es ist schwer, sich davon nicht korrumpieren zu lassen. Es ist wie im Krieg – ja auch bei uns gibt es Kriege – wo schreckliche Gräuel vorkommen. Massaker an Zivilisten, Erschießungen, Folterungen. Und wie viel mehr Macht hat ein Programmierer als ein Soldat? Was ist ein Computerprogramm im Vergleich zu einem lächerlichen Gewehr?«
    Sie stand auf und ging ein paar Schritte auf und ab. »Irgendwann habe ich ihn ertappt. Er folterte Menschen, er folterte sie auf bestialische Weise. Vielleicht hast du die Berichte in euren Medien gelesen.« Sie blieb stehen und drehte sich um, im Halbdunkel konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen. »Und weißt du, was das Schlimmste war? Er hat nur gelacht. Was interessiert dich denn, wenn ich meinen Ameisen ein Bein herausreiße, hat er gefragt. Ameisen! So sieht er euch. Deshalb hat es mich so getroffen, als du von Insekten sprachst.«
    Sie kam zurück, setzte sich wieder aufs Bett und nahm meine Hand. »Wir hatten einen Riesenstreit. Aber er machte immer weiter. Schließlich kam er auf die Idee, dich zu programmieren. Er hat den Aufsichtsrat davon überzeugt, dass Blinzle einen Assistenten brauchte. Damals wurde bereits Blinzles ... Deprogrammierung in Erwägung gezogen. Eine Maßnahme für den Fall, der kleine Simulator erwiese sich tatsächlich als gefährlich...«
    »Warte, warte«, unterbrach ich sie, »also stimmt es, dass unser kleiner Simulator eine Gefahr für unsere Welt darstellt?«
    »Ja, Marc, wenn alle Stricke reißen, müssen wir ein Reset durchführen. Eure Welt dient der Marktforschung, nicht umsonst dreht sich hier alles um sie, und wenn es Kowalski gelingt, die Interviewer überflüssig zu machen, dann haben wir keine andere Wahl.«
    Jetzt hatte ich die offizielle Bestätigung, dass unser Universum kurz davor stand, abgeschaltet zu werden. Reset. Was bedeutete das? Würde man alles neu programmieren oder das System auf den Ausgangszustand zurücksetzen? Ich wagte nicht zu fragen.
    Samantha hatte unterdessen weitergeredet: »...ein typischer Fall psychologischer Aufspaltung. Er hat dich so programmiert, dass du seinem früheren Ich entsprichst. Du bist der gute Marc, jener Marc, der für ihn unwiederbringlich verloren ist. Er hasst dich, so wie er sein altes Ich hasst. Und es macht ihm Spaß, sich zu beweisen, dass er dir überlegen ist. Wenn sein neues Ich seinem alten so weit voraus ist, dann hat er sich richtig entschieden, dann ist der neue Marc mehr wert als der alte...«
    Sie hatte sich in etwas hineingesteigert, und ich sah sie verwirrt an. Sie unterbrach ihren Redefluss. »Entschuldige. Ich möchte nur, dass du verstehst, wer du bist, dass du verstehst, warum er dich verfolgt, warum er dich quält, warum er mit dir spielt.« Sie seufzte. »Er hat dich häppchenweise mit Wissen gefüttert, um zu sehen, wie du darauf reagierst. Er hat den Doc auf dich angesetzt, um dir alles wieder auszureden, aber kaum schienst du dir wieder sicher, hat er dir ein neues Puzzlestück zugespielt, um dich erneut zu verwirren.«
    »Dann hätte er mich jederzeit töten können, löschen...«
    »Wenn er dich hätte wirklich töten wollen, dann wärst du jetzt tot.«
    Alles nur Theater. Meine Sorgen unnötig. Nur eine Katze, die mit einer Maus spielt, sie immer wieder ein kleines Stück entkommen lässt, sicher, ihr jederzeit mit einem Biss das Genick brechen zu

Weitere Kostenlose Bücher