Der Simulator
nicht noch einmal verlieren. Das überstünde sie nicht, eher ginge sie mit mir zusammen in diesen letzten Tag. Das beteuerte sie, und ich glaubte ihr.
Doch abfinden wollte ich mich damit nicht. Nicht mir ihrem Tod, nicht mit meinem und nicht mit jenem einer Million Unschuldiger. »Was können wir tun?« fragte ich sie.
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist aussichtslos, glaube mir. Ein ganzes Team Psychosimulatoriker hat sich wochenlang mit diesem Problem herumgeschlagen. Gleichgültig, wo man ansetzt und welches mathematische Modell man benutzt, das Ergebnis ist immer dasselbe: Kowalski gewinnt, und die Macht der Interviewer ist für immer gebrochen. Euer Simulator bedeutet das Ende der Interviewer, und das wird man da oben niemals zulassen. Schließlich besteht der einzige Sinn eurer Welt darin, Marktforschungsergebnisse zu liefern.«
»Man könnte unseren kleinen Simulator...« begann ich einen Einwand.
»Nein, das wäre zu indirekt. Zu viele Modellierungsverluste. Wir brauchen eine eigene Programmierung aller Studien, wir brauchen die unmittelbare Sicht auf die Dinge.«
Sie hatte natürlich recht, unser eigener kleiner Simulator konnte ihren großen, ihre Weltmaschine niemals ersetzen.
Verzweifelt dachte ich nach. Wir mussten diese Welt retten, es musste eine Möglichkeit geben.
Doch auch meine Gedanken drehten sich im Kreis. Kowalski hatte die Medien überzeugt und diese die Menschen. Außer den Interviewern gab es niemanden mehr, der sich gegen unseren Simulator gestellt hätte. Im Gegenteil, alle erhofften sich von ihm bahnbrechende Erkenntnisse, wünschten sich eine bessere Gesellschaft, eine bessere Welt.
»Wir müssen nach Heidelberg«, sagte ich irgendwann.
Samantha runzelte die Stirn. »Vergiss nicht, dass die Polizei hinter dir her ist.«
»Ich weiß, aber nur dort können wir etwas ausrichten.«
»Was hast du vor?«
»Kowalski hat für heute eine große Ergebnispräsentation angekündigt. Es findet eine Pressekonferenz mit allen großen Online-Medien statt.« Großspurig hatte er die Lösung des Problems der sozialen Gerechtigkeit angekündigt. Eine reine PR-Veranstaltung, auf der nur wohlklingende Allgemeinplätze verbreitet würden, daran bestand kein Zweifel. Aber auch diese wäre ein weiterer Schritt, um seine Macht zu festigen.
»Wir werden es nicht einmal durch die Tür schaffen.«
»Vielleicht, aber wir müssen es zumindest versuchen.« Ich hatte einen Plan, aber den wollte ich ihr nicht verraten.
Wir packten unsere Habseligkeiten und verließen das Hotel. Auf dem Weg zum Bahnhof griff Samantha nach meinem Arm und blieb stehen.
»Versprichst du mir etwas? Sagst du mir, wenn du ... ihn wieder spürst. Ich meine, wenn er sich bei dir aufschaltet.«
»Der große Steuermann?«
»Ja. Ich denke, wir haben erst einmal Ruhe. Er muss der Großen Runde berichten, und das wird eine Weile dauern. Aber dann...«
»Wie lange?«
»Ein paar Stunden, mehr nicht.«
Eine Galgenfrist, aber genug Zeit, um nach Heidelberg zu fahren. Mit etwas Glück konnten wir es schaffen.
»Marc, versprich es mir!«
»Ja, natürlich, ich werde es dir sagen...«
»Es ist wichtig! Ich muss es wissen.«
»Gut, ich verspreche es dir.«
»Danke, das beruhigt mich sehr.«
Wieder diese Besorgnis, wieder diese Fürsorge. Sie schien sich immer für mich verantwortlich zu fühlen. Natürlich war auch sie machtlos, denn letztlich konnte sie mir nicht helfen, aber eingestehen wollte sie sich das offenbar nicht.
Wir nahmen den Zug. In Basel mussten wir die Grenze zu Fuß überqueren. Einen durchgehenden Zug gab es nicht mehr. An der Grenze selbst wurde nicht besonders streng kontrolliert. Zumindest die Einreise ins Vereinte Europa war ohne größere Formalitäten möglich. Im Strom der Wirtschaftsflüchtlinge reisten wir wieder nach Deutschland ein.
In Weil am Rhein stiegen wir in den Shuttle, der uns in kaum einer Stunde nach Mannheim-Friedrichsfeld brachte. Dort nahmen wir die S-Bahn.
Noch immer waren viele Interviewer unterwegs, doch diese waren ungewohnt zurückhaltend – oder aggressiv, je nach Temperament. Die einen schienen sich mit der nahenden Arbeitslosigkeit bereits abgefunden zu haben, die anderen begehrten dagegen auf. Ein letzter Versuch, sich und uns ihre Macht zu beweisen.
Vom großen Steuermann hatte ich noch nichts bemerkt. Weder die typischen unangenehmen Begleiterscheinungen noch den starken Schwindel, der mir manchmal den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
Doch das hatte, wie ich wusste,
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