Der Simulator
versteifte mich noch mehr. Sie nahm meine Hand. Ihre Hand war heiß, oder es lag an meiner, die eiskalt zu sein schien.
»Marc, ich muss dir einiges erklären. Weißt du...« sie lachte nervös auf, »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»Spar dir die Mühe. Ich weiß Bescheid.«
Forschend sah sich mich an. Eine Weile schauten wir uns schweigend in die Augen.
»Nein«, sie schüttelte den Kopf, »es ist nicht so, wie du denkst.« Mein Gesicht war hart und blieb es, während sie meinen Arm streichelte. »Ich stehe auf deiner Seite. Das musst du mir glauben.«
»Du hast mit mir gespielt wie mit einem Insekt, wie mit einem Haustier. Du hast mir die ganze Zeit etwas vorgemacht.« Das schleuderte ich ihr entgegen, und in diese wenigen Worten legte ich meine ganze Wut, meine ganze Enttäuschung.
»Nein!« Sie schrie fast. »Ich habe dir immer nur helfen wollen. Du weißt gar nicht, wie lange ich nach einem Ausweg gesucht habe.«
Das Gespräch erschien mir sinnlos. Was gab es noch zu sagen? Warum sollte ich mir ihre Rechtfertigungen anhören, ihre Schutzbehauptungen, ihre Lügen?
»So, ich tue dir also leid? Du willst mir helfen ?« Ich entzog ihr meinen Arm. »Was bin ich denn für dich? Doch nur ein dummes Spielzeug.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann presste sie die Lippen zusammen. »Es ist nicht deine Schuld. Wie solltest du auch wissen...«
»Ich weiß genug«, unterbrach ich sie. »Ich weiß, dass diese ganze beschissene Welt nur eine riesige Simulation ist. Ich weiß, dass du kein Mensch bist, dass dieser Körper«, ich zeigte mit dem Finger auf sie, »nur ein Avatar ist, eine beliebige Projektion. Ich weiß...« Mit ging die Luft aus, plötzlich fiel mir nichts mehr ein, was ich ihr noch an den Kopf werfen konnte.
Sie schien erschrocken. »Ich konnte nicht ahnen...«
»Was konntest du nicht ahnen? Dass ich dein Spiel durchschaut habe? Du bist hier, um mich zu überwachen, um herauszufinden, was ich weiß. Gleich wirst du dem großen Steuermann mitteilen, dass er mich abschalten soll.«
»Nein, Marc, das ist das allerletzte, was ich tun werde.« Sie zog die Nase hoch und wischte sich die Tränen aus den Augen.
Meine Wut war verraucht. Wie sollte es jetzt weitergehen? Was hatte sie wirklich vor? »Du solltest die Karten auf den Tisch legen. Alle. Das hättest du schon vor langer Zeit tun sollen.«
Noch einmal zog sie die Nase hoch. »Du hast recht. Aber ich hatte Angst. Ich wusste nicht, wieviel du wusstest. Ich habe versucht, dich zu warnen. Der Zettel, den dir der Interviewer zugesteckt hat…«
»Der Interviewer auf dem S-Bahnhof?«
»Ja, dieses Zusammentreffen habe ich programmiert, als ich oben war.« Sie seufzte. »Lange habe ich geglaubt, ich könnte dir diese schreckliche Wahrheit ersparen.«
»Es ist also wahr?« Plötzlich merkte ich, dass ich mir noch ein winziges Stück Hoffnung bewahrt hatte, die Hoffnung, unsere Welt sei doch real und meine wirren Gedanken nur die Folge einer psychischen Störung.
Sie nickte nur.
»Alles?«
Wieder nickte sie. »Mehr oder weniger.«
Obwohl ich diese Hoffnung gerne am Leben gehalten hätte, gehegt hätte wie die letzte Blume in der Wüste, spürte ich, wie sie schwand. Ich musste der Wahrheit ins Gesicht schauen. Und während mir das klar wurde, schien die Welt um mich herum noch eine Spur grauer zu werden, trostloser.
»Rede!« sagte ich. »Wie lange bist du hier ... unten?«
»Noch nicht so lange.« Sie lächelte verlegen. »Ich hatte die Aufgabe, Blinzles Sachen zu durchsuchen und alles Verfängliche zu vernichten.«
»Dann war...«
»Ja, in seinem Büro sind wir uns zum ersten Mal begegnet.«
Ich hatte also recht gehabt. »Wie lange existiert der Simulator schon? Seit wann gibt es diese Welt?«
»Zehn Jahre. Etwas mehr als zehn Jahre.«
»Und wie lange bin ich ... Teil des Systems? Wann hat man mich programmiert?«
»Vor sechs ... sechs Monaten. Ungefähr.«
Sechs Monate! Ein ganzes Leben, das nur aus Einbildung bestand. Eltern, die es nie gegeben hatte, eine Kindheit, die einem beliebigen Skript entstammte. Erinnerungen als Massenware, so beliebig wie mein Traumstrand auf den Seychellen. Mir fröstelte, doch auch das war nur eine billige Illusion.
»Und ... du. Wer bist du wirklich? Wie heißt du?«
»Ich heiße Samantha.« Sie lächelte. Wenigstens ihr Name war echt. »Ich leite die neue Abteilung für Psychosimulatorik. Ich sorge dafür, dass...«, sie stockte, »dass sich eure Wirklichkeit so wirklich wie
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